Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Wissen und Bewußtsein Jesu
   Aus den Zeugnissen über das wahre Menschsein Jesu kann sich die theol. (christologische) Frage ergeben, wie sich das endliche Wissen des Menschen Jesus zur Einigung Jesu mit dem ewigen Logos Gottes verhalte. Die Tradition hat der kreatürlichen Seele Jesu die unmittelbare Anschauung Gottes zugeschrieben. Diese kann u. darf verstanden werden als die selige Überantwortung dieser Seele, des Menschen Jesus, an das unbegreifliche Geheimnis Gottes, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Annahme ist gestattet, daß Jesus ein Bewußtsein von seiner unmittelbaren Einigung mit dem Logos hatte, insbesondere, weil die geistige Seele Bei-sich-Sein bedeutet, von der Einigung seiner menschlichen Seele mit dem Logos. Das Übereignetsein der Seele u. mit ihr des menschlichen Bewußtseins Jesu an Gott ist gewiß ”beseligend“, aber nicht notwendigerweise in jeder Hinsicht. Wenn sich Jesus als völlig mit Gott geeint erfährt, muß das nicht ein in Einzelerkenntnisse gegliedertes oder nach Belieben verwertbares Wissen bedeuten. Nach dem Zeugnis des NTmachte Jesus trotz seiner einzigartigen, auch bewußtseinsmäßigen Einigung mit Gott Erfahrungen wie andere Menschen auch: er hatte eine geistige Entwicklung (Lk 2, 52), mußte den göttlichen Vater (wiederholt) um Erhörung bitten, selbst ”mit starkem Geschrei u. Tränen“ (Hebr 5, 7), sah sich also vor einer verhüllten Zukunft, hatte Todesangst, lernte Gehorsam, ”wiewohl er der Sohn war“ (Hebr 5, 8). Er hatte in manchen wichtigen Angelegenheiten kein begrifflich-gegenständlichesWissen u. konnte es darum sich u. anderen auch nicht sprachlich mitteilen (Mk 1, 32). Die Leidensweissagungen mit ihrem Vorauswissen gelten nach dem Befund der Literarkritik als sekundäre, nachösterliche Bildungen (Orakel u. Erfüllung).
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