Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Welt
   kommt in der Sprache der theol. Tradition in dreifacher Bedeutung vor; W. (griech. ”kosmos“; Kosmologie) bezeichnet 1) die Gesamtheit der Schöpfung, 2) den Planeten Erde, für den die alte Theologie kein eigenes Wort hatte, 3) das Widergöttliche in der Menschenwelt. – 1) Entsprechend dem antiken Weltbild bezeichnet W. zunächst das konkret Wahrnehmbare u. das als wirklich Gedachte in seiner Einheit (eins im Ursprung, im Schicksal u. im Ziel, eins in gegenseitiger Beziehung, Abhängigkeit eines jeden von jedem), im Hinblick auf denMenschen die ihm von Gott verfügte Situation im Blick auf eine gemeinsame Geschichte von Gott u. Menschen. So gesehen ist die W. eine Offenbarung mit Hinweisen auf den Schöpfer, zur Ehre Gottes als sinnvoll, gut u. schön geschaffen, in Liebe gewollter Adressat der Selbstmitteilung Gottes (Joh , 16 f.), nicht etwas, das von Gott trennt oder das gottfeindliche göttliche Kräfte in sich enthielte. Jedoch kann im alten Weltbild bereits etwas nicht Zusammenstimmendes, etwas Entzweites wahrgenommen werden: Die Lebenswelt der Menschen ist geschieden von der oberen Welt, dem Himmel Gottes, u. der unteren W. der Verstorbenen. – 2) Der Begriff W. kann in den alten religiösen Texten auch nur die Erde im engeren Sinn meinen. – 3) Die alte religiöse Interpretation der W. in Judentum u. Christentum geht davon aus, daß die W. von Anfang an (Ursünde der Engel u. Menschen) derart verdorben worden sei, daß sie bis tief in den materiellen Bereich hinein von einer Unheilsgeschichte geprägt ist, die sich gegen ihre eigenen schöpfungsmäßigen Strukturen u. Bestimmungen richtet (Erbsünde). In den biblischen Aussagen über ”diesen“ Kosmos oder ”diesen“ Äon ist alles das gemeint, was in der W. von dem negativen Anfang der Geschichte an als Antrieb zu neuer Schuld u. als Manifestationen dieser Schuld zu finden ist. In diesem Sinn sollen die Glaubenden nicht ”von der W.“ (Joh 18, 36 u. ö.) sein, auch wenn sie ”in“ ihr sein müssen (Joh 17, 11). Diese W. hat einen eigenen Fürsten (Joh 12, 31; 14, 30; 16, 11) oder Gott (2 Kor 4, 4); die W. haßt die Glaubenden (Joh 17, 14); die Kinder dieser W. sind klüger als die Kinder des Lichts (Lk 16, 8), die W. hat ihre eigene Weisheit, die vor Gott Torheit ist (1 Kor 1, 20; , 19). Es gibt einen ”Geist“ dieserW., den die Glaubenden nicht haben (1 Kor 2, 12). Sie sollen sich der W. nicht ”gleichförmig“ machen (Röm 12, 2). Trotz dieser negativen Analyse derW. erweist die Sendung Jesu die fortbestehende Liebe Gottes zur W. u. seinen Vergebungswillen, durch den die W. gerettet u. selig werden soll (Joh 1, 29; , 16 f.; 12, 47). Die Schöpfung im ganzen, die jetzt in der ”Knechtschaft des Verderbens“, ”der Nichtigkeit unterworfen“ ist u. inWehen seufzt, existiert auf Hoffnung hin u. steht unter der Verheißung, erlöst zu werden (Röm 8, 18–22). Wenn Jesus sich als Licht der W. bezeichnet (Joh 8, 12; 9, 5) u. die Glaubenden mit der Aufgabe betraut werden, ihrerseits das Licht der W. zu sein (Mt 5, 14), dann zeigt sich nicht nur die Hoffnungsperspektive für die im Argen liegende W., sondern auch die bleibende Aufgabe aktiver Weltverantwortung der Glaubenden (heute gerade auch als Sorge um die Zukunft des Planeten Erde). – 4) Kirche undWelt. Die neuzeitlichen Erfahrungen, daß die W. (in der 1. genannten Bedeutung) nicht eine fertige, sondern eine von Menschen geplante u. gemachte ist, rufen die christlichen Kirchen zu einer neuen Bestimmung ihres Verhältnisses zur W. auf, das keinesfalls in moralisierenden Verurteilungen u. in Weltflucht bestehen kann. Katholischerseits zeigte sich im II. Vaticanum (besonders in dem Dokument ”über die Kirche in derW. von heute“ GS), wie die Kirche in einem sehr langsamen Prozeß eine positive Haltung zur W. in allen ihren Dimensionen zu gewinnen versucht, zur Einheit der vielen Kirchen in versöhnter Vielfalt, zur Autonomie der Wissenschaften, zur Trennung von Kirche u. Staat, zur Sexualität. Die sich in diesem Prozeß äußernde Säkularisierung entstammt dem Geist der jüdisch-christlichen Religion: Entgöttlichung derW., ein kritisches Verhältnis zur eigenen Vergangenheit u. zu starren Traditionen, Reflexion auf die eigene Geschichtlichkeit, Bejahung von Rationalität u. Technik, berechtigte Kritik an der konkreten Kirche. Indem die Kirche akzeptiert, daß die W. zu ihrer eigenenWeltlichkeit findet, ermöglicht sie sich eine immer größere Selbstfindung. In der Sicht des christlichen Glaubens gibt es zwei völlig falsche (”häretische“) Auffassungen des Verhältnisses von Kirche u. W.: den Integralismus, der die W. ihrer Weltlichkeit entfremden, sie in die Kirche hinein integrieren will, die W. als Material kirchlicher Herrschaft u. Selbstdarstellung mißbraucht, u. eine Art des Dualismus, der die W. nur als Gefährdung der Kirche versteht u. das Engagement in der W. u. in ihrer Aufgaben als unerheblich für das ewige Heil bei Gott auffaßt. Das positive Verhältnis zur W. u. ihrer Weltlichkeit ist in der Sicht des Glaubens darin begründet, daß die Annahme der W. in Gottes Selbstmitteilung die Freisetzung der W. zu ihrer Eigenständigkeit u. Selbstbestimmung bedeutet; ”Nähe zu Gott u. Eigenwirklichkeit der W. wachsen im selben, nicht im umgekehrten Maß“ (K. Rahner †1984). So wie die Annahme der W. durch Gott, so kann auch die Freisetzung der W. wachsen u. bewußtseinsmäßig deutlicher werden. Wegen der negativen Vorprägung der W. kann ihr Weltlichwerden nicht einfach als Fortschritt zum Besseren, ohne Einbrüche u. Widersprüche, aufgefaßt werden. So sehr sich Christsein in der weltlich gewordenen Welt realisieren soll, so wenig können Christen die Weltlichkeit der W. einfach mit dem Christlichen identifizieren. Aufgabe in der W. u. Berufensein durch Gott sind verschieden, ohne daß ihre Einheit aufgehoben wäre (das gegen den Dualismus), u. sind eins, ohne mit einander identisch zu sein (dies gegen den Integralismus). Die Kirche, insoweit sie die ”Zeichen der Zeit“ u. der W. wahrnimmt, versteht sich als Sakrament, d.h. als wirksames Zeichen dafür, daß im Erwirken von Einheit u. Humanisierung der W. u. ihrer Zukunft das Reich Gottes am Kommen ist (II. Vaticanum LG 1 , 9 u. ö.).
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Welt