Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Vergebung
   bedeutet, dem Wortsinn nach, eine berechtigte Forderung aufzugeben. Tragendes Motiv ist der Wille zur Versöhnung. Im religiösen Bereich sind V. durch Gott u. V. durchMenschen von zentraler Bedeutung. Das durch Gottes Initiative gestiftete positive Verhältnis des Menschen zu Gott wird durch die Sünde nachhaltig gestört. Gott offenbart sich im AT wie im NT (keineswegs nur im NT !) als vergebungsbereiter, auf Versöhnung bedachter, erbarmender Gott. Er bereitet die Wege zur V. u. trägt Umkehr (Buße) u. Reue des Menschen; er ”reinigt“ den Menschen von seiner Sünde; er erläßt dem bereuenden u. glaubend vertrauenden Menschen die Schuld; er schenkt dem Menschen die Gerechtigkeit, die den göttlichen Ansprüchen entspricht. Das NT verbindet die Versöhnung der Sünder mit Gott mit der Person u. dem Wirken Jesu. Nach dem Ende des Tempels blieb dem gläubigen Judentum der große Versöhnungstag mit der Liturgie, in der die Sünder ihre Schuld bekennen u. im Vertrauen auf die von Gott ermöglichte u. zugesagte V. den Bund erneuern. Im Christentum verstand sich von Anfang an die Gemeinde mit ihren Sakramenten als Ort, an dem die von Gott geschenkte Reue u. Vergebung öffentlich-greifbaren Ausdruck finden, ohne daß die V. auf den sakramentalen Weg beschränkt wurde. Auf der Grundlage der Vaterunser-Bitte um Vergebung durch Gott, verknüpft mit derWillensbekundung, den ”Schuldigern“ zu vergeben, waren der Wille zur Versöhnung mit Mitmenschen u. Wiedergutmachung eines Schadens, wo immer möglich, unlösbar mit der Hoffnung auf V. durch Gott verbunden. Dieser Zusammenhang ist in neuerer Zeit dadurch bedroht, daß die V. durch das Sakrament bzw. durch den Glauben als rein privater Vorgang u. als leicht u. ”billig“ zu erhaltende Gnade aufgefaßt wird. Vielfach förderte die kirchliche Sünden- u. Beichtmoral neurotische Schuldgefühle, so daß das Schuldbewußtsein heute vielfach auf Krankheiten oder Determinanten zurückgeführt wird. Vielfach existiert auch ein Gefühl für Versagen u. Fehlverhalten, ohne daß diese als gegen Gott gerichtete Sünde verstanden werden können. Von da her stellen sich der gläubigen Rede von V. enorme Aufgaben. Eine bedrückende, theol. nicht leicht lösbare Einsicht ergibt sich aus dem Massenmord von ”Auschwitz“: Es kann u. darf keine V. geben, an der die Opfer nicht beteiligt sind. Keiner kann, über den Kopf der Opfer hinweg, an deren Stelle vergeben.
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