Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Urstand
   Das Wort U. bezeichnet in der klassischen Theologie den religiösen u. ethischen Zustand der ersten Menschen (traditionell immer Adam “ genannt), der ihnen von Gott dem Schöpfer geschenkt worden war u. den sie durch die Ursünde verloren. Diese Lehre verfolgt also zwei Absichten, die Tragweite von Sünde u. Schuld deutlich zu machen u. dasjenige, was Gott den Menschen von Anfang an zugedacht hatte, als Inhalt der Verheißung des Kommenden u. Endgültigen anzugeben. Beides ist unabhängig davon, wie heute unter dem Einfluß naturwissenschaftlicher Erkenntnisse über die Hominisation (Monogenismus) u. exegetischer Einsichten hinsichtlich der biblischen Urgeschichte über den U. als Idealentwurf nachgedacht wird. In der Theologiegeschichte datieren die Bemühungen um den U. seit Irenäus von Lyon († um 202) mit den Bezugnahmen auf die Gottebenbildlichkeit (Gen 1, 26 f.) u. auf die Adam-Texte (Röm 5, 12–20; 1 Kor 15, 21–26 45–49). Im einzelnen besagt die traditionelle Lehre vom U.: 1) Die ersten Menschen wurden in der [c darkviolet]Heiligmachenden Gnade erschaffen, mit dem Ziel, des ewigen Lebens in der Anschauung Gottes teilhaft zu werden. Ein ”Stand der bloßen Natur“ (einer ”natura pura“) existierte also nie. Die Geschichte der Menschheit stand von Anfang an unter einer einheitlichen Sinn- u. Zielsetzung durch Gott. Der theol. Gedankengang besagt, daß ein Mensch sein ”natürliches Wesen“ nur dann richtig interpretiert, wenn er es als offen für eine über dieses ”natürlicheWesen“ hinausgreifende Verfügung Gottes versteht. Diese kommt nicht nachträglich zum ”natürlichen Wesen“ hinzu ([c darkviolet]Extrinsezismus), sondern ist von vornherein das Entscheidende für den Menschen. Der universale Heilswille Gottes besagt, daß dieMenschen von Anfang an darauf hingeordnet sind, Anteil an Gott im ewigen Heil zu haben, u. daß diese Hinordnung auch nach der ”Sünde Adams“ erhalten geblieben ist. Daraus wird gefolgert, daß Gott diese Hinordnung immer schon als Gnade Jesu Christi konzipiert hatte: Der Wille zur Selbstmitteilung Gottes an das Nichtgöttliche ist der Grund der Schöpfung, findet Konkretisation u. Höhepunkt in der Inkarnation u. konkretisiert sich in der rettenden Zuwendung zur Menschheit. So ist Jesus Christus mehr als nur der Wiederhersteller der ”Ordnung Adams“. – 2) Die erstenMenschen waren frei von der rebellischen bösen Begierde. – 3) Die erstenMenschen waren frei von der Notwendigkeit, den Tod zu sterben. Da nach gesicherten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen der Tod nicht erst durch die Sünde in die Welt kam, sondern vom Schöpfer in die Evolution alles Lebendigen einprogrammiert wurde, könnte diese Lehre höchstens bedeuten, daß den Menschen von Gott ”an sich“ eine andere Art des Sterbens als Vollendung des biologischen u. geistigen Lebens zugedacht war. – Diese kirchliche Lehre über den U. sagt nichts über biologische u. kulturgeschichtliche Zuständlichkeiten der erstenMenschen. Sie besagt nur das, was mit der theol. Auffassung von Person gemeint ist. Ursprung u. Vollendung können nicht als Momente innerhalb der Menschheitsgeschichte, dem Zugriff der Wissenschaft ausgesetzt, verstanden werden. ”Das Urgeschichtliche u. das Eschatologische müssen aus der Natur der Sache heraus für uns den größten Abstand zwischen Vorstellung, Bild einerseits u. gemeinter Sache anderseits haben“ (Rahner-Vorgrimler 1961, 375).
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