Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Theorie und Praxis
Theorie (griech. = geistige Schau) bezeichnet bei Platon († 347 v.Chr.) das ”Schauen“ der Ideen, bei Aristoteles († 322 v.Chr.) die Einsicht in das Sein im ganzen u. in die letzten Gründe alles Seienden (Metaphysik), die wichtigste Tätigkeit des Menschen, da sie zum [c darkviolet]Glück führt (so dann auch die ”Schau“ Gottes in der Anschauung Gottes ). Das praktische Wissen u. Tun (”Praxis“ u. ”Poiesis“) sind von ihr grundlegend verschieden. In der Neuzeit geht dieses ”kontemplative“ Verständnis der Theorie als Wesensschau verloren; Theorie wird auf den Bereich der erfahrbaren Erscheinungen beschränkt u. bezeichnet ein Aussage-System, das aufgrund ”bewiesener“ oder evidenter Voraussetzungen ”deduktiv“ aufgestellt wurde u. überprüfbar sein muß. In der Philosophie des 19. Jh. (G. W. F. Hegel † 1831; K. Marx †1883) meldete sich ein Unbehagen an der Trennung von theoretischem u. praktischem Wissen zu Wort, das neue Reflexionen über deren Verhältnis auslöste (Kritische Theorie ), wobei beide Begriffe z.T. anders umschrieben wurden: Denken u. Handeln, Aussage u. Tatsache, Bewußtsein u. Gegenstand. Philosophisch wurde deutlich, daß es keine theoretische Unmittelbarkeit ohne praktische Vermittlung gibt u. daß praktische Erfahrungen immer auch von Theorie geprägt sind. In den Bereichen von Theologie u. Spiritualität wurde das Problem seit der Kirchenväterzeit mit der Unterscheidung von beschaulicher Innerlichkeit u. äußerlicher Aktion u. in der Frage nach deren komplexerWechselwirkung thematisiert. Nicht erst unter dem Eindruck der Erkenntnisse moderner Sozialwissenschaften stand es im Glaubensbereich fest, daß jede Glaubensaussage praktisch vollzogen sein muß, um anschaulich zu sein u. um sich zu bewahrheiten, u. umgekehrt, daß theoretische Sätze, die nicht praktisch vollzogen sein wollen, ihren Anspruch verlieren, Glaubensaussagen zu sein. Neuerdings kam jedoch die Einsicht hinzu, daß Theorie u. Praxis des Glaubens immer auch historische Entwicklungen u. gesellschaftliche Verhältnisse reflektieren. Diese Erkenntnis kommt in einer nur geisteswissenschaftlichen Hermeneutik der Glaubensaussagen so wenig zur Geltung wie in einer nur beschreibenden empirischen Analyse des existierenden Tatbestands. Daher forderte die Politische Theologie eine gesellschaftskritische Hermeneutik des Glaubens in praktischer Absicht als wesentlichen Aspekt der theologischen Theorie.
Theorie (griech. = geistige Schau) bezeichnet bei Platon († 347 v.Chr.) das ”Schauen“ der Ideen, bei Aristoteles († 322 v.Chr.) die Einsicht in das Sein im ganzen u. in die letzten Gründe alles Seienden (Metaphysik), die wichtigste Tätigkeit des Menschen, da sie zum [c darkviolet]Glück führt (so dann auch die ”Schau“ Gottes in der Anschauung Gottes ). Das praktische Wissen u. Tun (”Praxis“ u. ”Poiesis“) sind von ihr grundlegend verschieden. In der Neuzeit geht dieses ”kontemplative“ Verständnis der Theorie als Wesensschau verloren; Theorie wird auf den Bereich der erfahrbaren Erscheinungen beschränkt u. bezeichnet ein Aussage-System, das aufgrund ”bewiesener“ oder evidenter Voraussetzungen ”deduktiv“ aufgestellt wurde u. überprüfbar sein muß. In der Philosophie des 19. Jh. (G. W. F. Hegel † 1831; K. Marx †1883) meldete sich ein Unbehagen an der Trennung von theoretischem u. praktischem Wissen zu Wort, das neue Reflexionen über deren Verhältnis auslöste (Kritische Theorie ), wobei beide Begriffe z.T. anders umschrieben wurden: Denken u. Handeln, Aussage u. Tatsache, Bewußtsein u. Gegenstand. Philosophisch wurde deutlich, daß es keine theoretische Unmittelbarkeit ohne praktische Vermittlung gibt u. daß praktische Erfahrungen immer auch von Theorie geprägt sind. In den Bereichen von Theologie u. Spiritualität wurde das Problem seit der Kirchenväterzeit mit der Unterscheidung von beschaulicher Innerlichkeit u. äußerlicher Aktion u. in der Frage nach deren komplexerWechselwirkung thematisiert. Nicht erst unter dem Eindruck der Erkenntnisse moderner Sozialwissenschaften stand es im Glaubensbereich fest, daß jede Glaubensaussage praktisch vollzogen sein muß, um anschaulich zu sein u. um sich zu bewahrheiten, u. umgekehrt, daß theoretische Sätze, die nicht praktisch vollzogen sein wollen, ihren Anspruch verlieren, Glaubensaussagen zu sein. Neuerdings kam jedoch die Einsicht hinzu, daß Theorie u. Praxis des Glaubens immer auch historische Entwicklungen u. gesellschaftliche Verhältnisse reflektieren. Diese Erkenntnis kommt in einer nur geisteswissenschaftlichen Hermeneutik der Glaubensaussagen so wenig zur Geltung wie in einer nur beschreibenden empirischen Analyse des existierenden Tatbestands. Daher forderte die Politische Theologie eine gesellschaftskritische Hermeneutik des Glaubens in praktischer Absicht als wesentlichen Aspekt der theologischen Theorie.