Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Theodizee
   (griech. = Rechtfertigung Gottes), von G. W. Leibniz († 1716) erstmals gebrauchter Begriff für denkerische Versuche des Nachweises, daß die furchtbaren Übel u. Leiden der Geschöpfe die philosophische oder gläubige Überzeugung von der Existenz eines unendlich vollkommenen Gottes nicht aufheben. In der vorchristlichen Antike tauchte das Problem der Th. auf, sobald Übel u. Leiden im Zusammenhang mit menschlicher Freiheit, Schuld u. Schuldlosigkeit reflektiert wurden. Die Stoische Philosophie begegnete ihm mit apathischem Fatalismus, während Epikur († 272 v.Chr.) mit atheistischer Intention die Schlußfolgerung zog, daß Gott entweder nicht allmächtig oder nicht gut oder nicht existent sei. Die biblische Tradition beider Testamente sah das innerweltliche Geschehen unter dem Gesichtspunkt der alles bestimmenden göttlichen Vorsehung, gegen die dem Menschen nur Fügung u. Klagen blieben. Unter Hinweis auf die eschatologische Beantwortung derWarum-Fragen werden den Fragenden u. Klagenden Geduld u. Aushalten empfohlen. In der Theologie der Kirchenväter herrscht die Neigung vor, Übel u. Leiden als Strafen für die menschliche Schuldverfallenheit aufzufassen, ja das [c darkviolet]Böse als Mangel am Guten zu minimalisieren. Ernsthaft wurden die den Glauben u. die Theologie erschütternden Fragen der Th. erst in der Neuzeit aufgegriffen, wobei erstmals Leibniz die Endlichkeit mit ihren Übeln als Preis der menschlichen Freiheit ansehen wollte. Aufklärerische Versuche zur Rechtfertigung Gottes wurden durch das Erdbeben von Lissabon 1755 nachhaltig erschüttert. Im 19. Jh. verschärft sich die Tendenz, die Versuche zur Th. unter Hinweis auf die Nichtexistenz Gottes abzuweisen u. sich auf Impulse, Übel u. Leiden praktisch zu bekämpfen, zu beschränken. Noch zur Zeit des Zweiten Weltkriegs existierten theol. Auffassungen, die Übel als Preis der Evolution zu ”erklären“. Die Menschheitskatastrophe von ”Auschwitz“ bedeutete sachlich das Ende aller Th. Die französische Existenzphilosophie antwortete mit der These, das menschliche Dasein oder auch die Schöpfung im ganzen sei absurd. Sie hielt, wie später Menschen unterschiedlicherWeltanschauung (Th. W. Adorno †1969, D. Sölle), jeden Versuch, dem Leiden Sinn zu unterstellen, für verwerflich, betonte aber die Notwendigkeit einer Solidarität mit den Leidenden. K. Barth († 1968) hielt alle rationalen Bemühungen um eine Th. für theologisch illegitim; allein eine Selbstrechtfertigung Gottes könne die Fragen der Th. beantworten. Die Geschichte der Th. hat radikale Konsequenzen für Theologie u. Glaube: Die verharmlosende Rede von der Allmacht Gottes ist zu Ende; Eingriffe der göttlichen Vorsehung in Naturabläufe sind unvorstellbar; die unvollkommene u. unvollendete Schöpfung kann nicht einfachhin als ”gut“ bezeichnet werden; die göttlichen Geistimpulse sind offenbar nicht imstande, negative menschliche Freiheitsentscheidungen zu verhindern; der christliche Umgang mit Schmerzen u. Leiden muß sich mit der unablässigen Erinnerung an die Opfer der Menschheitsgeschichte u. der Schöpfung verbinden. Theologisch wäre anzufügen, daß eine Leugnung der Existenz Gottes zu ausweglosen Fragen einer ”Anthropodizee“ führen würde.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Theodizee