Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Sprachtheorie und Theologie
   Als Wissenschaft hat die Theologie es nicht nur mit Begriffen u. Sätzen, mit der Praxis des kommunikativen, unmißverständlichen Sprechens zu tun. Sie muß sich auch sprachtheoretisch engagieren, da sie denWahrheitsanspruch ihrer Aussagen durch die kritische Reflexion der Strukturen, Funktionen u. Konventionen eines vernünftigen Redens über Gott argumentativ sichern muß. Da die Theologie auf die religiöse Erfahrung einer Offenbarung Gottes u. deren sprachliche Interpretation in der Tradition innerhalb des Kontextes geschichtlicher Veränderungen u. gesellschaftlicher Lebensformen bezogen ist u. bleibt u. da sie durch die Vergegenwärtigung des so verstandenen ansprechenden Wortes Gottes Handlungsimpulse vermitteln will, ist es legitim, wenn sie eine bestimmte Sprachtheorie zur Selbstvergewisserung bevorzugt, nämlich jene, die sich wesentlich damit befaßt, den faktischen Gebrauch der Sprache u. dessen Regelsysteme sowie den sprachlichen Vorgang lebensweltlicher Sinnvermittlung zu analysieren. Bei den ”Theorien der Normalsprache“ ist das der Fall. Die theol. Auffassungen des Wortes Gottes (Offenbarung, Inspiration) setzen voraus, daß mit der ”Versprachlichung “ bei der Weitergabe der prophetischen Botschaft auch die Bedingungen der Verstehbarkeit mit gesetzt u. unmittelbar einsehbar sind. Daraus ergibt sich die theol. Forderung an eine Sprachtheorie, daß durch eine Analyse des empirischen Sprachvollzugs die transzendentale ”Leistungsfähigkeit “ ergründbar sein sollte. In erster Linie trägt dazu die geisteswissenschaftliche Hermeneutik bei. Darüber hinaus kommen verschiedene Impulse aus der analytischen Sprachphilosophie in Betracht: Die Theorie der ”Sprachspiele“ (L. Wittgenstein † 1951), die u. a. zur Anerkennung der Eigenständigkeit religiöser Sprachspiele geführt hat, u. die Theorie der ”Sprechakte“ bei J. L. Austin († 1960) u. a. können der Theologie neue Begründungsmodelle des Sprechens von Gott anbieten. Die kritische Behauptung, religiöse Sprache sei weder ”verifizierbar“ noch ”falsifizierbar “ u. daher von vornherein sinnlos (so der Empirismus bei A. J. Ayer † 1989 u. a.), wurde innerhalb der Sprachtheorie durch Hinweise auf die expressiven, emotionalen u. wirklichkeitsdeutenden Funktionen der religiösen Sprache (Selbstvergewisserung im Beten, Trösten, kommunikativ Bekennen usw.) entkräftet. Ebenfalls zur ”linguistischen Pragmatik“ zählen die ”semiotischen“ (griech. = zeichentheoretischen) Begründungen der Wahrheit empirischer Aussagen bei Ch. S. Peirce († 1914) u. a., von denen aus die Bedeutung einer ”universalen Kommunikationsgemeinschaft “ (Sprache als sozial vereinbartes System von Zeichen) als der Ort deutlich wird, an dem der Wahrheitsanspruch theoretischer Aussagen eingelöst wird. Sowohl der Anspruch der Theologie alsWissenschaft wie auch der unaufgebbare Gemeinschaftsbezug der theologischen Reflexion (u. damit die Kirchlichkeit der Theologie) u. der normative Charakter von Glaubensentscheidungen können von diesen sprachtheoretischen Forschungen u. Reflexionen her einleuchtender begründet werden. Binnentheologische Einzeldaten finden in neueren Sprachtheorien vermehrt Beachtung: Gebet, Namen, Mythos, Metaphern, Erzählen, sakramentales Wort. Bedeutung für Theologie u. Kirche hat eine ”Hermeneutik des Verdachts“, die im Zusammenhang mit der Feministischen Theologie auf den sexistischen Charakter u. Mißbrauch der Sprache hinweist.
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