Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Simul iustus et peccator
   (lat. = zugleich Gerechter und Sünder), eine Kurzformel der ev. Theologie u. Gläubigkeit, mit der in paradoxer Form die Existenz des gläubigen Menschen vor Gott ausgesprochen werden soll. Im Glauben verstehen sich Menschen als gerechtfertigt durch Gottes Gnade (Rechtfertigung), u. zugleich erfahren sie sich ständig als Sünder. Die Formel hat aus folgenden Gründen einen gut katholischen Sinn: a) weil es eine absolute u. selbstverständliche Heilsgewißheit (über eine feste [c darkviolet]Hoffnung hinaus) nicht gibt; b) weil Menschen täglich um die Vergebung ihrer Schuld beten müssen; c) weil Menschen vor Gott entgegen jeder [c darkviolet]Selbst-gerechtigkeit wirkliche Sünder sind u. immer wieder sündigen; d) weil die theol. Lehre, daß schwere Sünden, die die Rechtfertigung aufheben, vermeidbar sind, keine sichere Garantie dafür bietet, daß beim einzelnen Menschen eine schwere Schuld tatsächlich nicht vorliegt, obwohl er sich subjektiv einer schweren Sünde nicht bewußt ist. Die dunkle, existentielle Situation derMenschen vor Gott wird darum mit der Formel gut beschrieben. – Die Formel wäre im kath. Glaubensverständnis nicht akzeptierbar, wenn sie bedeuten würde: a) ein Mensch ist immer u. immer in gleicher Weise zugleich Gerechter u. Sünder; b) ein Mensch wird in der Rechtfertigung nicht aus einem Ungerechten u. Sünder zu einem Gerechtfertigten, so daß er nach der Rechtfertigung nicht ein anderer wäre als der er vorher war; c) der gerechtfertigte Mensch wäre nicht in einem ”objektiven“ Zustand gerecht durch die wahre Mitteilung des Heiligen Geistes, also nicht in einem ihn innerlich bestimmenden Zustand, den letztlich nicht ein Mensch, sondern nur Gott beurteilen kann. Die kath. Ablehnung der Formel bezieht sich also auf die mögliche Meinung, die von Gott in seiner vergebenden Gnade geschenkte Gerechtigkeit sei – auch dann, wenn sie von Gott wirklich geschenkt ist – nur ein ”als ob“, nur eine gleichsam in einem äußerlichen Gerichtsverfahren (”forensisch“) gewährte Nichtanrechnung, eine bloße Fiktion (Imputationsgerechtigkeit), die einen Menschen in seinem innersten Kern so wenig verändere, ihn so sehr bloß Sünder sein lasse, daß er auch nach der Rechtfertigung unfähig zum Guten sei.
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