Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Sexualität
   als den Menschen in seiner Ganzheit prägende biologische Anlage ist Gegenstand vieler Wissenschaften. In der Theologie befassen sich v. a. Moraltheologie (theol. Ethik) u. Praktische Theologie mit der S. Sie haben zunächst dem Faktum Rechnung zu tragen, daß in den biblischen Offenbarungszeugnissen vielfältig in konkreten Erzählungen von S. die Rede ist, daß aber nur insofern eine Sexualethik von überzeitlich gültigen Gesichtspunkten her biblisch begründbar ist, als der Umgang miteinander unter dem Primat des Liebesgebotes u. damit der gegenseitigen Respektierung, unter dem Verbot, den andern Menschen zum bloßen ”Objekt“ zu machen, steht. Die biblische Paradies-Weisung, fruchtbar zu sein u. sich zu mehren (Gen 1, 28), kann nicht als Begründung dafür dienen, die menschliche S. überzeitlich-biologistisch von der Fortpflanzung u. Arterhaltung her zu erklären. Das von Jesus unter dem Aspekt des Begehrens radikalisierte Verbot des Ehebruchs im Dekalog (Ex 20, 14; Mt 5, 27 f.) ist nicht als Verbot der Sinnlichkeit zu sehen, sondern steht im Kontext der Sorge um friedliches Zusammenleben, unter dem Vorzeichen des Schutzes der Frau (Mt 5, 31 f.). Die gebotene Beschränkung aktiver S. auf die Ehe ist biblisch nicht begründbar, zumal Institutionalität u. Gestaltung der Ehe einem erheblichen geschichtlichen Wandel unterlagen u. eine notwendige Zusammengehörigkeit von Liebe, S. u. Ehe erst im 19. Jh. behauptet wurde. Sozio-kulturell bedingt sind die Verurteilungen abweichenden Sexual-verhaltens bei Paulus. Verhängnisvoll für das Verhältnis sehr vieler Menschen zur Kirche u. damit auch zum christlichen Glauben war die kirchenamtliche Normierung des Sexualverhaltens an einem die Menschen (”animal rationale“) u. die Tierwelt umfassenden Verständnis des ”Naturgemäßen “. Eine Seelsorge der Einschüchterung mit Höllendrohungen produzierte verhängnisvolle Schuldkonflikte u. Neurosen. Erst die Theologie des 20. Jh. erkannte die spezifisch menschliche Eigenart der S., die Gestaltungsfähigkeit der gerade beim Menschen nicht starr festgelegten ”Natur“, die möglichen Steigerungen von Glück u. Lebensgefühl, gerade auch durch Beglückung eines Partners, die Überwindung von Einsamkeit, auch in non-verbaler Kommunikation, die Schaffung oder Verstärkung des Wir-Gefühls. Die Zerstörung aller Tabu-Schranken, die hemmungslose Vermarktung der Intimsphäre, die Forcierung sexueller Höchstleistungen u. a. sind z.T. als exzessive Pendelausschläge gegen kirchlich u. gesellschaftlichkonventionell produzierte Sündenangst zu verstehen. Ihnen gegenüber behalten die Ratschläge zur Beherrschung der S. u. zur Askese unter dem Primat der Liebe ihren Sinn. Eine positive Wirkung der öffentlichen Diskussion der S. ist die Erkenntnis der vor allem männlichen Herrschaft u. Gewalt im Bereich der S. mit Ausbeutung u. Entwürdigung der Frauen (des in den 60er Jahren des 20. Jh. so genannten Sexismus, der sich freilich nicht auf die S. beschränkt, sondern in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen virulent ist).
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