Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Scholastik
   (griech. = Schulmäßigkeit) bezeichnet die hauptsächliche, in sich sehr differenzierte wissenschaftliche (nicht nur theol.) Methode des Mittelalters u. darüber hinaus eine Denkform, die sich auch vor u. nach dem Mittelalter finden läßt. Voraussetzungen für sie waren in der Zeit der Vorscholastik (um 800–1050) die von Kloster- u. Domschulen ausgehenden Bemühungen um Bildung u. Kultur u. damit verbunden ein sorgfältiger Umgang mit Traditionen. In der Frühscholastik (1050–1200) kamen die bis heute existierenden Universitäten auf. Grundlage des Theologiestudiums waren Texte aus der Bibel u. von anerkannten Theologen (vor allem Augustinus † 430), die mit begrifflicher Anstrengung je nach der Eigenständigkeit des Dozenten kommentiert wurden. Das Gedankengut war zunächst platonisch-augustinisch. Entstehende Fragen wurden in streng angewendeter Logik disputiert. (Exakte Begrifflichkeit u. argumentationsstarke Diskussionen sind in heutiger Zeit in gleicher Qualität nicht mehr vorhanden.) So entstehen die Methoden der kommentierenden Vorlesung (”lectio “), der Vorlage von Fragen (”quaestio“), geordnet in den Sammlungen der ”Summen“, u. der Diskussion (”disputatio“). Die in ihr vorgetragenen Antworten haben sich auf ”Autoritäten“ (göttliche u. menschliche) u. auf die Vernunft (Ratio) zu stützen, wobei z.T. bis heute diskutierte Probleme bewußt werden (Verhältnis von Glauben u. Denken, ”Gottesbeweise“). Zu den vielen Leistungen dieser Zeit gehört die Klärung des Sakramentsbegriffs. Bedeutende Theologen u. a.: Anselm von Canterbury († 1109), Peter Abaelard († 1142). Gegen Ende der Frühscholastik wurde mit Hilfe arabischer Gelehrter Aristoteles († 322 v.Chr.) wiederentdeckt, dessen Wissenschaftsauffassung, Metaphysik, Logik, Ethik überaus großen Einfluß auf das theol. u. philosophische Denken gewannen. Die Hochscholastik (1200–1350) erreichte an Wissensumfang u. Problembewußtsein ein bis dahin nicht gekanntes Niveau. Die Mitwirkung der im 13. Jh. entstandenen Dominikaner u. Franziskaner führte zur Bildung höchst unterschiedlicher theol. Schulen, wobei die Franziskaner (Bonaventura †1274) programmatisch den Augustinismus ausbildeten. Inspirierend wirkte die geistige Auseinandersetzung mit dem Islam. Über Aristoteles u. seinen Lehrer Albertus Magnus († 1280) hinaus entwickelte der Dominikaner Thomas von Aquin († 1274) ein eigenständiges, verschiedene Traditionen einschließlich der Negativen Theologie zusammenfassendes Denken (Gotteslehre, Natur u. Gnade, Leib u. Seele, Materie u. Form; Tugendlehre in der Ethik usw.). Eine individuelle Prägung ohne augustinische Einseitigkeit wiesen Philosophie u. Theologie bei dem Franziskaner Johannes Duns Scotus († 1308, Skotismus) auf. Um universales Wissen u. missionarisches Wirken im Islam war der Laientheologe Raimundus Lullus († um 1315) bemüht. Platonisch inspiriert, um die Einheit von Denken u. Spiritualität u. um eine verantwortliche theol. Sprache besorgt war Meister Eckhart († 1328). Die Zeit der Spätscholastik (1350–1500) sieht auf der einen Seite die Skepsis gegenüber der Metaphysik, verbunden mit einem gewissen Positivismus u. mit Interesse an Sprachanalysen im [c darkviolet]Nominalismus, anderseits einen so originellen Denker des Paradoxen u. der Negativen Theologie wie Nikolaus von Kues († 1464). Die neu entstehenden Naturwissenschaften u. die großen Bewegungen von Renaissance u. Humanismus eröffneten neue Horizonte des Denkens; die letzteren leiteten durch ihre teilweise Aufmerksamkeit für die biblischen Quellen zur Reformation über. Fortan wurde eine wesentlich veränderte Gestalt von Sch. in der Barockscholastik u. in der Neuscholastik prägend für die kath. Theologie. Erstere war unter naturwissenschaftlichem Einfluß stark an deduktiven Beweisgängen interessiert u. sah bedeutende Beiträge zur Gesellschaftstheorie, z. B. bei F. Suárez († 1619). Letztere widmete sich (mit Ansätzen im 18. Jh., Blütezeit im 19. Jh., Niedergang im 20. Jh.) der Abwehr gegen ”moderne“ Geistesströmungen. Bei ihren großen Vorzügen durch exakte Begrifflichkeit war sie, von der kirchlichen Leitungsautorität immer wieder nachdrücklich empfohlen bzw. vorgeschrieben, weder theologisch noch philosophisch produktiv, verfügte über keinerlei Diskussionskompetenz u. entwickelte kein theol. Problembewußtsein. Der Rückzug in das wissenschaftliche Getto erbrachte hervorragende historische u. editorische Leistungen, die zu einer gerechten Würdigung der Sch. im ganzen über die Grenzen einer Konfession hinaus beitrugen.
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