Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Sakrament
   (seltenes lat.Wort, von ”sacrum“ = Heiliges; bedeutete einen im Tempel hinterlegten Betrag, dann auch den militärischen Fahneneid). Sakramente heißen hervorgehobene liturgische Symbolhandlungen der Kirche. Zu unterscheiden sind einerseits die Existenz solcher Symbolhandlungen, anderseits der Begriff S. u. seine Geschichte.   1. Biblische Zeugnisse. Diejenigen ntl. Texte, von denen aus sich die spätere Sakramententheologie entwickelt hat, setzen bereits eine liturgische Praxis der frühen christlichen Kirche u. eine theol. Reflexion auf diese Praxis voraus. Keine Meinungsverschiedenheiten bestehen darüber, daß Taufe u. Eucharistie ([c darkviolet]Abendmahl) schon in ntl. Zeit besonders hervorgehobene liturgische Symbolhandlungen waren. Eine theol. Deutung beider findet sich 1 Kor 10, 1–11, wo Paulus nahelegt, daß göttliche Heilsgeheimnisse geschichtlich-konkret vermittelt werden können. Geistesgeschichtliche Grundlagen dafür stammen sowohl aus dem Judentum als auch aus dem Hellenismus (frühere Erklärungen der Herkunft der Sakramente litten unter der Einseitigkeit nur einer Ursprungsbestimmung). Andere Anhaltspunkte sind die Salbungen mit Öl (Mk 6, 13; Jak 5, 13 ff.), die Handauflegung im Zusammenhang mit Amtsübertragung, Geistmitteilung, wohl auch mit Versöhnung, die Verhaltensweisungen im Hinblick auf Sünde u. Vergebung (Mt 18, 15–18; Joh 20, 22 f.). Einen Sonderfall bildet die Ehe; die Liebesbeziehung Jesu Christi zu seiner Kirche wird in Eph 5, 32 als deren Vorbild dargestellt u. mit griech. ”mysterion“, in der Vg. ”sacramentum“, bezeichnet. Damit ist nicht die liturgische Symbolhandlung gemeint, aber die Bedeutung des konkreten Geschehens der Ehe für das Heil bei Gott ausgesprochen. Nirgendwo in biblischen Zeugnissen werden diese unterschiedlichen liturgischen Vollzüge einem Einheitsbegriff S. untergeordnet.
   2. Die theol. Bemühungen der nachbiblischen Zeit sind zunächst durch ein Schwanken hinsichtlich des Begriffs mysterion (mysterium) gekennzeichnet. Er wird in Abwehr der Gnosis abgelehnt oder doppelt positiv verwendet, einmal um die konkret-geschichtlichen Zuwendungen des göttlichen Heils zu bezeichnen, zum andern um das Heilsgeschehen in Jesus Christus kultisch zu vergegenwärtigen. Aus dem ersteren entstand der spätere ”weitere “ Begriff S., mit dem Jesus Christus, die Kirche, der Glaube u. das Glaubensbekenntnis benannt werden konnten. Der letztere, wohl in Nordafrika zuerst ”sacramentum“ für ”mysterion“, wurde zunächst auf Taufe u. Eucharistie angewandt, wegen des Gedankens der religiös-ethischen Selbstverpflichtung im lat. Wort ”sacramentum“, wobei das Angebot der göttlichen Gnade u. die Zustimmung (Bekenntnis) des Glaubens engstens zusammengesehen wurden. Vom 3. Jh. an fand der engere Begriff S. Eingang in die kirchliche u. theol. Sprache, wobei auch andere liturgische Symbolhandlungen wie Fußwaschung u. Handauflegung als Sakramente bezeichnet wurden. Von großer Bedeutung für die Sakramententheologie war Augustinus († 430). Er rechnete die Sakramente Taufe u. Eucharistie zu jenen sichtbaren Zeichen, die eine unsichtbare Wirklichkeit (”res“) anzeigen. Vornehmstes Zeichen (”signum“) ist für ihn das Wort. Die Sakramente sind Geschenke Gottes zur Wiederherstellung der von ”Adam“ gestörten Ordnung im Umgang mit Zeichen u. Gütern; sie zeigen Göttliches an u. enthalten es. Ihr sinnlich wahrnehmbares Element wird durch ein Wort, das Glaubenswort der Kirche, gedeutet, ohne das ein S. nicht zustande käme. Daher nennt Augustinus das S. auch ”sichtbares Wort“. Die Wirklichkeit, die im S. bezeichnet wird, ist für ihn nicht einfach die göttliche Gnade, sondern der ganze Christus (”Christus totus“), der in den Sakramenten der eigentlich Handelnde ist u. durch den Hl. Geist die göttliche Gnade bewirkt. Daher kann die innere heilige Wirklichkeit u. Wirksamkeit der Sakramente durch unheilige Amtsträger gar nicht beschädigt werden (Donatismus). Im frühen Mittelalter kamen sachhafte Vorstellungen auf, als enthielten die Sakramente die Gnade so, wieMedizin in einem Gefäß enthalten ist. Ein ängstliches Sicherheitsdenken sorgte sich um den richtigen Ritus, den man durch die Autorität Roms garantiert sah. Vom 12. Jh an wird die Sakramententheologie theoretisch erweitert. Das S. wirkt, gleichsam von Gott her betrachtet, ”objektiv“, unabhängig vom ”Spender“ u. dessen Würdigkeit, ”ex opere operato“, d. h. kraft des vollzogenen Ritus. Ob die göttliche Gnade aber wirksam ankommt, das hängt vom subjektiven Tun des ”Empfängers“, vom ”opus operantis“, ab. Minimalbedingungen werden aufgestellt: Der ”Spender“ müsse die entsprechende Vollmacht u. die Intention, das zu tun, was die Kirche tut, haben; der ”Empfänger“ müsse frei von einem Hindernis sein (Disposition). Für diese Theorien waren, ebenso wie bei der nun entwickelten Lehre vom sakramentalen Charakter, Anhaltspunkte bei Augustinus gegeben. Seit der Frühscholastik mühte man sich, eine auf alle Sakramente zutreffende Definition zu erarbeiten, wobei die Frage nach der Ursache der Gnade besondere Aufmerksamkeit fand. Mitte des 12. Jh. ist ein Konsens hinsichtlich der (heutigen kath.) Siebenzahl der Sakramente zu konstatieren, für die jedoch keine zwingenden Gründe angegeben werden konnten. Einen Bestandteil bildete die Bemühung der scholastischen Theologie um Stiftungsakte der Sakramente, wobei Einsetzungsworte bei Jesus, spätere Erkenntnis u. Promulgation einer Stiftung durch Jesus, eine Stiftung durch Gott (nämlich der Ehe im Paradies) behandelt wurden u. die Betonung auf dem Zeitpunkt lag, zu dem die Sakramente ihre Wirksamkeit durch den Hl. Geist erhielten. Die Scholastik unterschied ”sacramentum“ (”tantum “), das äußere Zeichen, von der ”res“, dem Inhalt, der letztenWirkung der Gnade Gottes, die ihrerseits nicht auch Zeichen ist. Dazwischen nahm sie ein Mittleres an, ”res et sacramentum“, das vom äußeren Zeichen im Bereich des Sichtbaren hervorgebracht werde u. unmittelbar die Gnade bewirke. Der Hylemorphismus wurde auf die Sakramente angewandt, so daß bei jedem S. (manchmal etwas künstlich) Materie u. Form unterschieden wurden; weil dabei ”materia“ in einem sehr weiten Sinn aufgefaßt u. mit der substantialen Form die Einheit des Ganzen ”gerettet“ wurde, war es möglich, ein bloß sachhaftes Verständnis des ”materiellen“ Zeichens zu überwinden u. zum liturgischen u. personalen Vollzug zurückzukehren. Thomas von Aquin († 1274), der die Sakramententheologie systematisierte, nannte mit Hilfe seiner Kausalitätstheorie Gott die Erstursache, das S. die Instrumentalursache der göttlichen Gnade, die Gott jedoch nach Thomas auch außersakramental mitteilt.
   3. Erste kirchenamtliche Stellungnahmen, zur allgemeinen Sakramententheologie seit dem 13. Jh., verteidigen die Lehre, daß Gültigkeit u. Wirksamkeit eines S. nicht von der Würdigkeit seines ”Spenders“ abhängen. Das II. Konzil von Lyon äußerte sich 1274 affirmativ zur Siebenzahl der Sakramente. Der Sakramententext des Armenierdekrets von Florenz ist, einschließlich der hylemorphistischen Sicht u. der Bestätigung der Siebenzahl, überwiegend von Thomas von Aquin übernommen. Die Kritik der Reformatoren, die schließlich zu einem unterschiedlichen Sakramentenverständnis führte, entzündete sich an Mißbräuchen in der Praxis des Ablasses, der Eucharistie u. des Bußsakraments . – a) M. Luther († 1546) betonte aus seiner augustinischen Tradition u. seiner religiösen Erfahrung das Wortgeschehen beim S., auf christologischer Basis: das Wort der vergebenden Liebe Gottes ist im Leben u. Sterben Jesu Fleisch geworden, daher ist Jesus das S. schlechthin. Von Augustinus her suchte Luther nach dem Verheißungswort u. nach dem sichtbaren Zeichen u. fand beide zusammen nach einem gewissen Schwanken nur noch bei Taufe u. Abendmahl. Sie sind jeweils unterschiedliche, allein durch den Glauben imMenschen wirkende, ihm ohne sein Verdienst von Gott geschenkte Heilsworte. Zugleich haben sie in der lutherischen Tradition kirchenbildenden Charakter, wenn sie, zusammen mit der reinen Verkündigung des Evangeliums, recht verwaltet werden. – b) Nach J. Calvin († 1564) können alle im AT u. NT genannten Zeichen, mit denen Gott die Menschen im Glauben stärken möchte, ”Sakramente“ heißen. Er betont die unabdingbare Voraussetzung: Die Menschen müssen durch den Hl. Geist für das Himmlische geöffnet u. zur Annahme der Verkündigung im Glauben bewegt worden sein. Da sie trotz des Glaubens durch Schwäche, Trägheit u. auch Unwissenheit bleibend angeschlagen sind, bedurften sie der Sakramente als göttlicher Bekräftigungen seiner Verheißungen. – In Reaktion auf die reformatorische Sakramentenauffassung, vor allem über die Wirksamkeit der Sakramente allein durch den Glauben u. über die Begrenzung ihrer Zahl, verabschiedete das Konzil von Trient 1547 ein Dekret über die Sakramente. Als Richtlinien galten die Texte von Florenz, als Normbeispiel für ”das“ S. betrachtete man offensichtlich die Säuglingstaufe, eine Definition des S. wurde jedoch nicht geboten. Das Konzil lehrte die Siebenzahl der Sakramente: Taufe u. Eucharistie als die bedeutendsten Sakramente, ferner Firmung, Bußsakrament, [c darkviolet]Krankensalbung, Ehe, Weihesakrament. Alle werden auf eine Einsetzung durch Jesus Christus zurückgeführt (Genaueres dazu sagte das Konzil aber jeweils bei den einzelnen Sakramenten). Die Sakramente werden in den Zusammenhang der Rechtfertigung eingeordnet, aber nicht alle sind von gleichem Rang u. nicht alle gelten als heilsnotwendig. Erkennbar wird die Auffassung zurückgewiesen, die Sakramente hätten nur den Glauben zu stärken oder sie seien nur Zeichen des menschlichen Bekenntnisses; so wird ihre sichereWirkung von Gott her mit dem ”ex opere operato“ ausgesprochen. Andere Lehraussagen bejahen die Existenz des sakramentalen [c darkviolet]Charakters; sie handeln von der notwendigen Vollmacht, der Intention des ”Spenders“, dem Fehlen eines Hindernisses beim ”Empfänger“. Die personale u. liturgische Sicht der Sakramente kommt nicht zur Geltung.
   4. Heutige Systematik. Die frühesten christlichen Gemeinden haben bei der Einführung ihrer sakramentalen Praxis auf ein den Menschen naheliegendes, weil bereits mit ihrer eigenen Leiblichkeit u. mit Transzendenzerfahrungen im Bereich der Schöpfung verbundenes Verständnis von Symbol u. symbolischen Handlungen zurückgegriffen. Die mögliche Mehrdeutigkeit in der Transparenz der Schöpfung wird dabei kraft der Wortoffenbarung interpretierend überwunden, womit zugleich die Überzeugung verbunden war, dem Willen u. der Praxis Jesu zu entsprechen. Was so an kirchlichen Sakramenten geschaffen wurde, war aus folgenden Gründen nicht rein menschliche Erfindung, sondern ”Gründung“ Gottes in Jesus Christus: a) Die christlichen Gemeinden wußten sich in ihren vor Gott u. auf ihn hin realisierten Aktionen von den Initiativen des Hl. Geistes geführt u. von ihm getragen; b) sie verließen sich auf die Zusage Jesu, bei ihren Versammlungen auf eine neue Weise gegenwärtig zu sein ”bis ans Ende der Welt“; c) sie trauten der durch die Auferweckung Jesu verbürgten Verheißung, daß ihre Gebete im Hl. Geist u. so auch ihre sakramentalen [c darkviolet]Epiklesen unfehlbar erhört würden. Damit ist der Ursprungs- oder Stiftungszusammenhang mit Jesus gegeben. Die theol. Erneuerungen im 20. Jh. haben dieses Ursprungsverhältnis verdeutlicht durch die Erkenntnis Jesu als des einzigartigen Ursakraments u. der Kirche als des Grund- oder Wurzelsakraments, das sich in vorzüglicher Weise in den Einzelsakramenten aktualisiert. Die Überzeugung von der realen Gegenwart Jesu u. seiner Mysterien in jedem S. entstand neu aus der kritischen Diskussion der Mysterientheologie u. aus der Erinnerung an das Vergegenwärtigungsgeschehen in der jüdischen Liturgie. Die Besinnung auf den pneumatologischen, christologischen u. ekklesiologischen Aspekt der Sakramente eröffnete sehr positive Perspektiven für das ökumenische Gespräch, auch mit der ostkirchlichen Orthodoxie (die ebenfalls die Siebenzahl der Sakramente kennt). – Diese Sicht der Sakramente zeigt, daß sie im Glauben dankend u. preisend angenommene Taten Gottes an der Gemeinde u. an den einzelnen Menschen sind, auch wenn sie in ihrer konkreten Gestalt liturgische Symbolhandlungen der Kirche sind. Genauer werden sie als Realsymbole verstanden, u. so kann ihre Ursächlichkeit im Hinblick auf die Gnade deutlicher erfaßt werden: Die Sakramente sind Ursache der Gnade, insofern sie ihre Zeichen sind, aber die Gnade ist eben Ursache der Zeichen, die diese erwirkt u. damit selber gegenwärtig wird. Den Sakramenten ist nicht ein Mehr an Gnade über die gnädige Gegenwart Gottes bei den Menschen hinaus, sondern eine Steigerung der personalen Kommunikation, ein höheres Maß an Greifbarkeit zuzuschreiben. – Die Praxis der sakramentalen Symbolhandlungen ist von Anfang an unlösbar mit den deutenden Worten verbunden. In ihnen, nicht im Zeichen als solchem, geschieht der Zeitbezug der Sakramente als Erinnerung, Vergegenwärtigung u. Verheißung. Die neuere Theologie des Wortes Gottes suchte die innerste Zuordnung von Wort u. S. dadurch aufzuzeigen, daß sie das S. als höchste Wesensverwirklichung des Wortes Gottes (in radikalem Engagement der Kirche bei entscheidenden Heilssituationen einzelner Menschen u. der kirchlichen Gemeinschaft) auffaßte. Das Mittun der Gläubigen garantiert, daß nicht monologische Wortverkündigung oder ”Spendung“ geschehen, sondern daß wechselseitiges liturgisches Tun u. gemeinsames Bekenntnis gegeben sind. Neuere Versuche, die Sakramente als Interaktionen (Sprech-Akte) oder als ”Rites de passage“ (Übergangsriten) zu verstehen, können manche Aspekte verdeutlichen, sind aber in der Gefahr, die ganz unterschiedlichen Geschehnisse u. Situationen der Einzelsakramente dem künstlichen Oberbegriff S. schematisch unterzuordnen. Ein anderes neueres Verständnis will die Sakramente als Feste u. Feiern u. als ”die Menschen verwandelnde Spiele“ sehen. Hierin liegt die Gefahr einer einseitigen Verharmlosung u. Ästhetisierung mit dem Anschein, als solle die konkrete menschliche u. gesellschaftliche Leidenssituation durch religiöse Symbolhandlungen überspielt werden. Die heutige Krise der Sakramente besteht weniger in der Verwechslung mit magischen Praktiken als in der vom konkreten Leben abgehobenen, in starren Traditionen fixierten, schematisch ablaufenden Gestaltung.
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