Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Psychologie
   (griech. = Seelenkunde), die stark naturwissenschaftlich orientierte, aber auch geistes- u. sozialwissenschaftlich arbeitende Erforschung des menschlichen Verhaltens u. Erlebens. An ihrem Ursprung lag die Beschäftigung mit der Seele schon bei ”vorsokratischen“ Philosophen wie Heraklit (um 500 v.Chr.), dann bei Platon († 347 v.Chr.) u., mit wichtigen empirischen Beobachtungen, Aristoteles († 322 v.Chr.). Nach Augustinus († 430) hat die menschliche Seele drei Komponenten, Gedächtnis, Verstand u. Willen. Detaillierte Selbstbeobachtungen enthalten seine autobiographischen ”Confessiones“. Wenn danach in der abendländischen Geistesgeschichte über die Seelenphilosophie hinaus gelegentlich Interesse an psychischen Eigengesetzlichkeiten, die sich empirisch erforschen ließen, wach wurde, so datiert die Etablierung der P. als selbständigeWissenschaft doch erst vom Ende des 19. Jh. an durch W. Wundt († 1920). Differenzierungen entstanden durch die Psychoanalyse, die [c darkviolet]Verhaltensforschung u. a. naturwissenschaftliche Orientierungen. Gemeinsam ist diesen Richtungen die negative Beurteilung des Begriffs ”Seele“, die Abweisung der Frage nach ihrem ”Wesen“ u. die Zuwendung zu einzelnen Momenten u. Komponenten im Prozeß des psychischen Geschehens. Elementare Begriffe der alten Seelenlehre (Liebe, Haß, Gewissen usw.) werden in dieser ”Elementen-“ oder ”Assoziations-P.“ als Produkte nicht verifizierbarer Hypothesen angesehen. Einer dem ”Wesen“ psychischer Phänomene zugewandten ”geisteswissenschaftlichen P.“ (M. Scheler †1928, E. Spranger †1963) gelang der Dialog mit den empirischen psychologischen Wissenschaften nicht. Die heutige wissenschaftliche P. gliedert sich in Grundlagenfächer (”allgemeine P.“ zur Untersuchung psychischer Grundprozesse u. allgemeiner Gesetzmäßigkeiten, ”Entwicklungs-P.“, ”Persönlichkeits-P.“ u. ”Sozial-P.“) u. in ”angewandte P.“ Die ”angewandte P.“ ist in eine Vielzahl einzelner Disziplinen mit großem Methodenpluralismus (Beobachtungen, Experimente, Felduntersuchungen u. Tests der Leistungen u. der Persönlichkeit) eingeteilt, wobei die Einzelheiten des menschlichen Verhaltens u. v. a. der psychischen Störungen in detaillierten Statistiken festgehalten, Vergleiche von ”Fällen“ vorgenommen u. Prognosen aufgestellt werden. Ein breiteres theol. Interesse an der ”angewandten P.“ ist nicht erkennbar. Die P. ist allenfalls einbezogen in Gespräche über Eigenart u. Methoden vonWissenschaften u. über anthropologische Themen: [c darkviolet]Naturwissenschaften und Theologie . Größere Beachtung findet die Tiefenpsychologie, die sich den unbewußten Erwartungen u. Antrieben des Menschen zuwendet. Die tiefenpsychologische Exegese versucht, sich Erfahrungen der Psychoanalyse u. vor allem die Erkenntnisse C. G. Jungs († 1961) zunutze zu machen u. die Heilkraft biblischer Texte zu erschließen: DasWeisheitswissen der Bibel im Zusammenhang mit Sinnfragen; die Möglichkeiten, sich mit biblischen Personen zu identifizieren; Jesus als Beispiel ”integrierten“ Menschseins; die Hinwendung zur therapeutischen Kraft biblischer Symbole (Symboldidaktik). In der ”archetypischen Hermeneutik “ wird versucht, biblische Aussagen mit Hilfe der Archetypen zu entschlüsseln. ”Archetyp“ (griech. = Urform, Urbild) bezeichnet bei Jung das Abbild einer überpersonalen Macht, die das Ichbewußtsein transzendiert u. die sich bewußtseinsmäßig durch Abbilder in Träumen u. Visionen manifestiert. In diesen Archetypen (Schatten, Animus, Anima, Geist, Wandlung, das Selbst als Zentrum) sind Kräfte, die aus der Mythologie, aus Märchen u. aus der Kunst bekannt sind, am Werk, um dem Menschen zur Ganzheit zu verhelfen. Die Ganzheits- u. Heilungserfahrungen werden gleichzeitig als religiöse Erfahrungen gedeutet. In der Kritik werden Fragen an die empirische u. historische Gültigkeit dieser Grundlagen der tiefenpsychologischen Exegese gestellt.
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