Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Politische Theologie
   Begrifflich begegnet in der Stoischen Philosophie die Unterscheidung von mythischer, natürlicher u. politischer Theologie. Von der letzteren her stammt eine erste Gestalt der christlichen P. Th., die es als ihre Aufgabe ansah, bestehende staatliche Strukturen theol. zu rechtfertigen. Nach dem Vorbild der antiken röm. Staatstheologie legitimierte die byzantinische Hoftheologie mit ihrem Urbild-Abbild-Denken die Kaiserherrschaft (ein Gott – ein Kaiser – ein Patriarch oder Papst – eine Kirche). Elemente dieser Legitimationsgestalt der P. Th. finden sich später in der Renaissance, in der französischen Restauration u. in totalitären christlichen Staatsauffassungen (pseudotheol. Begründungen des Führerprinzips, des ”Dritten Reiches“ usw.). – Die zweite Gestalt einer P. Th. geht inhaltlich auf die Theologien der Welt u. der Hoffnung zurück, in der die Vorgänge der Säkularisierung positiv gesehen u. kritische Potentiale des Christentums (gegen weltliche Ideologien u. inhumane Zustände wie gegen Anpassung der Kirche an weltliche Strukturen u. Herrschaftsverhältnisse) reflektiert wurden; Kritikfähigkeit erwuchs auch aus der Erneuerung der Eschatologie, die sich der Vorläufigkeit von Kirche u. Welt bewußt wurde. Die Anfänge dieser P. Th. sind, basierend auf Einsichten D. Bonhoeffers († 1945), mit den Namen J. Moltmann, D. Sölle, H. Gollwitzer († 1993) u. J. B. Metz (der in den 60er Jahren den Begriff P. Th. einführte) verbunden. Die P. Th. entwickelte sich vor allem in zwei Richtungen. Die mehr praktischen Impulse führten zu konkreten Initiativen, die ihrerseits wieder theol. reflektiert wurden. So entstanden die [c darkviolet]Befreiungstheologie (unter starkem Einfluß der These K. Rahners †1984 von der strikten Einheit von Gottes- u. Menschenliebe), die Kontextuelle Theologie , die vielfältigen Theologien der Dritten Welt u. manche Strömungen der Feministischen Theologie. Die P. Th. bei Metz u. in seiner Schule entwickelte sich in zwei Phasen. Die erste läßt sich äußerst kurz zitatweise so charakterisieren: Entprivatisierung der christlichen Rede von Gott; Neuformulierung der Eschatologie ”unter den Bedingungen strukturell gewandelter Öffentlichkeit “; Verständnis der Kirche als ”Institution gesellschaftskritischer Freiheit des Glaubens“. In der zweiten Phase erfolgt eine Konzentration auf die innere Situation der Gottesrede, mit dezidiertenWendungen gegen die vermeintliche Geschichtslosigkeit u. den ”Idealismus“ der Transzendentaltheologie, gegen ”Letztbegründungsversuche“, mit dem Aufdecken der Unlösbarkeit der Theodizee-Problematik (alles dies unter der bleibenden Verunsicherung von Christentum u. Theologie durch den Schock von ”Auschwitz“). Besondere Kritik gilt dem Gedächtnisverlust u. der Apathie der modernen u. postmodernen Gesellschaften. Die Wahrheitsfähigkeit der Gottesrede soll durch die Erinnerung, durch das ”Eingedenken fremden Leids“ vor Gott gesichert werden. Im Blick auf die polyzentrische Weltkirche u. die der biblischen Gottesrede widersprechenden gesellschaftlichen Zustände gibt die P. Th. ihrer Sensibilität für die Leidenden in steter ”gefährlicher Erinnerung“ Ausdruck u. klagt die Autorität der Leidenden als Kriterium für alle Dialoge von Religionen u. Kulturen ein. Eine Änderung apathischer Mentalitäten soll durch das Bewußtmachen der ”befristeten Zeit“ erreicht werden. Diese Gottesrede der neueren P. Th. ist von einem ”Vermissen Gottes“ geprägt, das die affirmative Theologie mit ihrem Beharren auf Vorsehung u. ständig mögliche Wunder verdrängt; läßt aber die Frage offen, ob nicht doch positiv von einer aus stetigen gewaltlosen Impulsen des Heiligen Geistes bestehenden Gegenwart Gottes gesprochen werden könnte. – Negative Theologie .
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Politische Theologie