Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Person
   1. Begriff u. Bedeutung in der Theologie. a) Anthropologisch. Über die genauere Bedeutung des Begriffs P. ist die Diskussion noch in vollem Gang. Anhaltspunkte sprechen dafür, daß lat. ”persona“ (von ”personare “ = hindurchtönen?) u. griech. ”prosopon“ der antiken Theaterwelt entstammten u. die Maske bezeichneten, mit der die genaue Eigenart eines Schauspielers gekennzeichnet wurde. Der Begriff der P. ist einer der wichtigsten Beiträge der Theologie zur Geistesgeschichte. Er hat seine Voraussetzungen in der antiken Anthropologie, in welcher ”der Mensch“ durch seine Geistigkeit, sein Bei-sich-selber-Sein in Bewußtheit, seine über sich selber verfügende Freiheit gekennzeichnet ist u. die schon bei Cicero († 43 v.Chr.) als mit der Natur des Menschen gegebene Würde bezeichnet wird. Aber erst in der jüdisch-christlichen Glaubensüberlieferung wird der Grund gelegt für die Überzeugung von jener einmaligen Würde u. Geltung ”des Menschen“, die in seinem Verhältnis zu Gott, im Verhältnis Gottes zu ihm begründet ist u. in der Reflexion über seine Transzendenz, über seine bleibende u. unausweichliche Verwiesenheit auf das Sein im ganzen vertieft werden kann. Wenn im AT auch das Bewußtsein, das Eigentumsvolk Gottes zu sein, u. der Bundesgedanke im Zentrum des religiösen Glaubens stehen, so ist doch von Anfang an der einzelne Mensch mit der Glaubensforderung Gottes konfrontiert u. zur Verantwortung aufgerufen; das dialogische Geschehen zwischen Gott u. Mensch ereignet sich ”von Person zu Person“. Daß der Anruf Jesu zu Umkehr u. Nachfolge u. die frühchristliche Verkündigung des Evangeliums primär den einzelnenMenschen suchen u. finden wollen, unterstreicht die ”Personalität“ des Menschseins, die es ein für allemal verbietet, im Individuum nur einen ”Fall“ zu sehen. Die bedeutenden Theologen der Tradition haben in jeweils ihrer Perspektive u. Sprache das Personengeheimnis des Menschen reflektiert, z. B. die griechischen Theologen seit Origenes († 253) vor allem in ihren Hoheliedkommentaren u. Augustinus († 430) im Nachdenken über die menschliche Seele als gesuchter Partnerin Gottes; bei anderen stärker auf das Ankommen der Gnade Gottes im Menschen oder auf die Gottesgeburt im menschlichen Herzen (eher mystisch) konzentriert. Die ”Synthese“ des Persondenkens findet sich, wie andere Synthesen der Tradition, bei Thomas von Aquin († 1274), für den die P. nicht nur durch eine einzigartige Existenzweise mit Selbstbesitz, Erkenntnisvermögen des Unendlichen, Bewußtsein u. Freiheit, sondern auch durch ihre Berufung zum übernatürlichen Ziel (Natur und Gnade ) ausgezeichnet ist. Selbstbewußtsein u. Verantwortung sind die beiden Merkmale der P., die nach der Emanzipation der Philosophie von der Theologie in der Neuzeit erhalten bleiben. Die Vertiefung des Personverständnisses durch den Gedanken der Subjektivität (Subjekt) geht von der Verantwortung aus: ”P. ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind“ (I. Kant †1804), wobei die Verantwortung freilich von autonomer Selbstbestimmung (Autonomie) u. damit vom Gedanken des Selbstbesitzes geprägt ist. Im deutschen Idealismus u. im [c darkviolet]Personalismus des 20. Jh. wird die Subjekt-P. von der Beziehung her gedacht: Im Ausgang von sich selber u. im Sein-beim-andern aktualisiert sich die P., so daß sie beim andern zu sich selber kommt. Diese Auffassung von der P. als dialogisches Beziehungsgeschehen gründet in der konkreten Leiblichkeit, Geschichtlichkeit u. Gemeinschaftsnatur desMenschen. Die Gefahr, P. als statischen Besitz zu denken u. dabei das Vollzugsgeschehen der P. zu vernachlässigen, ist damit überwunden, doch ist der bewußte Selbstbesitz u. das Wissen um Selbstverfügung die unverzichtbare Voraussetzung für das Ausgehen aus sich selber, so daß theol. Polemiken gegen den ”Selbstbesitz “ überflüssig sind. – b) Christologisch. Chronologisch wäre zunächst die Verwendung des Begriffs P. in der Trinitätstheologie zu erörtern (hier unter c). Die christologischen Auseinandersetzungen, die zu den Formulierungen Ökumenischer Konzilien vom 4. bis zum 7. Jh. führten, waren der Anlaß dafür, daß theologisch noch in einer anderen Weise als in der eben umschriebenen über P. diskutiert wird. Ausgangspunkt dieses Denkens ist die Formulierung von Chalkedon 451, daß in Jesus Christus zwei Naturen, die göttliche u. die menschliche, zu einer einzigen [c darkviolet]Hypostase geeint sind (wobei sie unvermischt verschieden bleiben). In dem von der antiken Philosophie beeinflußten christlichen Denken war es möglich gewesen, dasjenige, was später zum modernen Begriff der P. führte, als ”Wesen “, ”Natur“ oder ”Substanz“ zu bezeichnen. Nach der Festlegung der Zwei-Naturen-Lehre bedurfte diese Redeweise einer Klärung. Sie verlief in der Richtung, daß in einem anderen Begriff von P. nur ein Merkmal, eine Eigentümlichkeit einer bei-sich-seienden, freien (also subjekthaften, konkreten) ”Natur“ (also einer P. im modernen Sinn) herausgehoben u. zum formalsten Merkmal der P. erklärt wurde: ihr Hypostase-Sein (lat. ihre ”Subsistenz“), jene Eigentümlichkeit, als geistige Natur bei sich selber zu sein, sich in letzter unvertauschbarer Unmittelbarkeit selber zu gehören. Gerade in einem christologischen Denkprozeß bildete Boethius († um 525) seine einflußreich gewordene Definition von P.: ”P. ist die individuelle Substanz einer geistbegabten Natur“. Eine solche Auffassung ist in Gefahr, vom wahren Menschsein Jesu wegzuführen. Zu der ganzen konkreten Wirklichkeit Jesu gehört ja alles echt Menschliche, das im modernen Sinn (siehe oben a) zur P. gehört, das Endliche u. Kreatürliche, mit seinem unendlichen Abstand von Gott und mit seiner dialogischen Beziehung zu Gott, das mit dem göttlichen Logos so geeint ist, daß Jesus zum ”offenbarenden Da-sein Gottes bei uns“ (K. Rahner) werden konnte. Im Dogma von Chalkedon wird dieses wahre Menschsein ”Natur“ genannt, u. ferner wird gesagt, daß der göttliche Logos die Person, d. h. der Selbstbesitz dieser ”Natur“ sei. Von da aus kann das Menschsein Jesu nicht im scholastischen Sinn (siehe oben zu Thomas von Aquin) P. genannt werden. Im modernen Sinn von P. ist es jedoch nicht weniger P. als das Menschsein andererMenschen, sondern mehr. Denn: wenn P. bewußtes Bei-sich-Sein u. bewußtes Verwiesen-Sein auf ein anderes Du u. damit auch auf Gott, also notwendige Gottesbeziehung, besagt, dann ist in Jesus die unüberbietbare Erfüllung des Person-Seins gegeben (wenn seine menschlicheWirklichkeit im göttlichen Logos ihre ”Subsistenz“ hat, ”en-hypostasiert“ ist). Gott hat bewirkt, daß die Transzendenz-Beziehung, die jedenMenschen als P. ausmacht, in Jesus seinshaft u. bewußt bleibend an ihrem Ziel ist. – c) Trinitätstheologisch. Die Offenbarung Gottes in seinem Logos u. in seinem Geist, die Erkenntnis, daß Gott selber sich in Logos u. Geist mitteilte u. mitteilt u. es sich bei ihnen also nicht um geschaffene Kräfte handelt, so daß Gott sich selber ”dreifach“ offenbarte, führte in der östlichen wie auch in der westlichen Kirche vor die Notwendigkeit, das Verhältnis der (im strikten Ein-Gott-Glauben Israels u. Jesu festgehaltenen) Eins zu diesen ”Drei“ zu klären. Dabei wurde in der östlichen Kirche für die ”Drei“ der Begriff ”prosopon“ im Sinn von Offenbarungsgestalt oder der Allerweltsbegriff ”Hypostase“ im Sinn von individueller Verwirklichung eines einzigen Wesens eingesetzt. Im kirchlichen Westen begegnet erstmals bei Tertullian († nach 220) die Formulierung von einer einzigen göttlichen ”Substanz “ (”una substantia“) u. ”drei Personen“ (”tres personae“). In diesem altkirchlichen Sinn bedeutet P. das Sich-Vorstellen, Sich-Offenbaren, Sichtbar-Werden, nicht aber ein ”Beziehungsgefüge“. Nach langwierigen Auseinandersetzungen kam mit Hilfe der drei Kappadokier die kirchliche Formulierung von dem einen göttlichenWesen (”ousia“) in drei Hypostasen zustande, wobei jeder Hypostase nur eine einzige abstrakte Eigentümlichkeit (Ursprungsein, Gezeugtsein, Hervorgegangensein) zugeschrieben wurde, die Eigentümlichkeiten im Hinblick auf den Ursprung aber zueinander in Beziehung (Relation, griech. ”schesis“) gesetzt wurden. Nichts in der altkirchlichen Redeweise von der Trinität nötigt dazu, dieser subtilen Sicht zu unterstellen, sie lehre die Trinität Gottes als Communio oder Personen-Kommunität. Erst mit Richard von St. Victor in Paris († 1173) kommt eine Spekulation auf, die bis zur Gegenwart das Mißverständnis bewirkt, als könne der eine Gott der jüdischen u. christlichen Offenbarung als Kommunität dreier Subjekte aufgefaßt werden. Bei der Suche nach Entsprechungen der göttlichen Wirklichkeit in der geschaffenen Welt wählte er das Phänomen der Liebe, in der sich das Ich (”diligens “), das Du (”dilectus“) u. etwas seltsam konstruiert der gemeinsam Geliebte (”condilectus“) unterscheiden ließen, so daß er hier Vater, Sohn u. Geist abgebildet sah. Von da aus ergibt sich bis zur Gegenwart eine Fülle mit großem Wortaufwand konstruierter, in einer immer künstlicheren Sprache vorgetragener Trinitätsspekulationen, die sich in das innerste Lebensgeheimnis Gottes zurücktasten. Theologen wie K. Barth († 1968), K. Rahner († 1984), P. Schoonenberg († 1999), J. B. Metz u. a. machen nachdrücklich darauf aufmerksam, daß dasjenige, was im modernen Personbegriff grundlegend ist (bewußtes Bei-sich-Sein, Selbstbesitz, Selbstverfügung, Freiheit), in den drei göttlichen ”Personen“ nicht dreifach unterschieden existiert (womit drei Götter entstünden), sondern nur strengstens einmal gegeben ist. Im Logos u. im Geist teilt der eine Gott sich selber mit, so daß der Logos u. der Geist nicht von sich aus beginnen würden, sich mitzuteilen. ”Die drei ›Personen‹ in Gott bedeuten nicht drei handelnde ›Subjekte‹, die mit dreimal je eigener wissender u. freier Lebensfülle sich gegenüberstünden u. so die Einzigkeit der göttlichen Natur nicht als Mysterium stehenließen, sondern aufheben würden“ (Rahner-Vorgrimler 1961, 285).   2. Zur heutigen philosophischen Diskussion. Zum einen spielt in aktuellen Überlegungen die Frage nach der ”Identität des Menschen in der Zeit“ eine große Rolle. Sie wird oft als Kontinuität des Bewußtseins, das in der Erinnerung zu sich selber kommt, verstanden (Identität), während andere auf ”Selbstidentifizierung durch soziales Handeln“ hinweisen u. damit am Beziehungsdenken anknüpfen. Zum andern wird im Zusammenhang mit ethischen Fragen über Kriterien des Personseins diskutiert. Dabei nähern sich Theoretiker in erschreckender Weise den Auffassungen vom ”lebensunwerten Leben“. Den Verteidigern der Personwürde eines jeden Menschen, auch des embryonalen, behinderten oder senilen Menschen, wird unterstellt, sie verteidigten aus kulturhistorischen Gründen die Existenz der ganzen Gattung Mensch oder sie argumentierten mit der nicht ”beweisbaren“ Existenz einer unsterblichen Seele. Dem gegenüber hält die theol. Ethik daran fest, daß (wie es spätestens seit Kant Gemeingut menschlicher Erkenntnis ist: [c darkviolet]Kategorischer Imperativ ) P. u. Mensch identisch sind, begrifflich nicht empirisch-deskriptiv festgemacht werden können, u. daß jeder Mensch (auch ein Mensch in rudimentärer oder eingeschränkter Form) Selbstzweck ist, so daß kein Mensch als Sache behandelt werden darf, u. daß es keinem Menschen zusteht, über den ”Wert“ eines andern zu urteilen.
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