Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Ontologie
   (griech. = Lehre vom Sein), als Begriff im 17. Jh. gebildet, später auch ”erste Metaphysik“ genannt. O. ist die philosophische Frage, wie das Sein u. das Seiende zu verstehen sind. Ein solches Verständnis liegt jedem denkenden u. freien Umgang mit den konkretenWirklichkeiten zugrunde, indem es diese auf das Sein im Ganzen hin u. von diesem her interpretiert. Sachlich wird diese Frage in der ”Ersten Philosophie“ des Aristoteles († 322 v.Chr.) im genannten Sinn thematisiert: Seiendes oder Ontisches wird in seinem Seiendsein als solchem, nicht unter einem bestimmten Aspekt (z. B. seiner Brauchbarkeit) betrachtet (O. als ”reine Theorie“). O. fragt nach dem, was in einem allgemeinsten u. umfassenden Sinn alles Seiende im Sein begründet, u. nach den unterschiedlichen Arten, in denen das Sein dem Seienden zukommt, also nach dem ersten Grund des Seienden (Dasein), nach den allgemeinsten Seinsbestimmungen (Transzendentalien), nach dem Möglich- u. Wirklichsein (Potenz, Akt). Das höchste Seiende nannte Aristoteles das Göttliche (”to theion“), von dem her u. auf das hin das Ganze des Seienden ”geordnet“ ist. Bei I. Kant († 1804) tritt die Transzendentalphilosophie an die Stelle der O.; statt nach dem Seiendsein des Seienden wird nach den Bedingungen gefragt, unter denen die Gegenständlichkeit von Gegenständen möglich wird (Abweisung einer Erkennbarkeit des ”Ding an sich“, Beschränkung der Erkenntnis auf die Erfahrungswelt). Neuere Zugänge zur O. im 20. Jh. wurden in der theol. Reflexion nicht wirksam. – Das ursprüngliche Seinsverständnis, um das sich die Philosophie von Aristoteles bis Kant mühte u. das sie in der Reflexion nicht ”einholte“ u. nicht erschöpfend auszusagen vermochte, ist auch die Grundlage einer theol. Aussage u. in einer jeden Das-ist-Aussage enthalten. Die O. ist daher von Anfang an engstens mit der Theologie verbunden u. bleibt eine unentbehrliche Hilfe für sie. Ein Verzicht auf das Denken der O. würde die Theologie nicht selbständiger machen, sondern sie unkritischen Gefühlen ausliefern. Die Theologie ist ihrerseits ”über die O. hinaus“, weil Theologie bedeutet, daß ein Mensch unter der Erfahrung der innerlich-gnadenhaften u. der öffentlichen (jüdisch-christlichen) Offenbarung Gottes reflex zu sich selber kommt u. somit die Gesamtwirklichkeit totaler erfährt als in der bloß transzendentalen Reflexion. Anderseits kann die O. den Menschen als möglichen ”Hörer des Wortes“ begreifen: offen für das Ankommen des absoluten Geheimnisses u. sich selber auch in seiner Geschichtlichkeit, nicht nur in seiner Transzendenz, verstehend. Darum kann die O. sich als offen für eine göttliche Offenbarung u. Theologie begreifen u. ist nicht genötigt, sich selber als die einzige u. erschöpfende ”Erhellung“ des menschlichen Daseins auszuweisen.
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