Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Mensch
   1. Philosophischer Zugang. Die theol. Auffassung vom Menschen kommt mit der klassischen Philosophie darin überein, daß ”der M.“ (bedauerlicherweise eine männliche Abstraktbildung) in der Gesamtheit alles Lebendigen eine Ausnahme darstellt, weil ”er“ die Fähigkeit besitzt, sich zu sich selber u. zu allem anderen reflex u. ausdrücklich zu verhalten. In der Philosophie des Aristoteles († 322 v.Chr.) wird der Unterschied des Menschen zum Tier erstmals greifbar thematisiert. Mit den Tieren hat der M. das Leben u. die Körperlichkeit gemeinsam. Dazu gehören die Gesetzlichkeiten des Materiellen u. des Organischen: Evolution. ”Zugleich“ mit den auf diese Eigenarten bezogenen Wahrnehmungen erfährt sich der M. als eine unendliche Offenheit in der transzendierenden Freiheit des Erkennens, Wollens u. Handelns; er erfährt sich als Geist u. als Person. Aus dieser zweifach-einen Wesenserfahrung des Menschen ergab sich in der aristotelisch-thomistischen Philosophie die Definition: ”Der M. ist ein vernunftbegabtes Lebewesen“ (”animal rationale“), wobei das ”Animalische“ die Gemeinsamkeit mit den nichtmenschlichen, tierischen Lebewesen anzeigt. Eine erste fundamentale Differenz zwischen der philosophisch traditionellen Auffassung vomMenschen u. einer naturwissenschaftlichen Sicht entstand im 19. Jh. und wirkt weiter bis zur Gegenwart. Die Verbindung der evolutionsorientierten Biologie mit dem weltanschaulichen [c darkviolet]Materialismus führte zur Leugnung einesWesensunterschiedes von M. u. Tier mit den Versuchen, geistig-seelische Vorgänge aus biologischen, physikalischen u. chemischen Prozessen erschöpfend zu erklären. Die Philosophie sah u. sieht sich immer wieder vor der Versuchung, die Komposition des Menschen aus Leib u. Seele im Sinn eines prinzipiellen Dualismus zu erklären (Platon †347 v.Chr., R. Descartes † 1650). Geistesgeschichtlich war die von Aristoteles u. dessen Hylemorphismus geprägte Sicht des Menschen als Einheit der Teilsubstanzen Leib u. Geistseele bei Thomas von Aquin († 1274) von großer Nachwirkung. Über das individualisierende Person-Denken hinaus, das in der idealistischen Philosophie Subjektivität ausschließlich vom reflexiven Selbstbesitz u. der Selbstverfügung her sehen wollte, ist in der neueren Zeit deutlich geworden, daß Beziehung (”Relationalität “) zumWesen des Person-Seins gehört, so daß ”der M.“ seinWesen u. seine Wirklichkeit immer nur mitmenschlich in gemeinsamer Welt ”hat“. Menschen sind M. im Besitz der gleichen Menschenwürde u. Menschenrechte. Diese kommen auch dem Menschen zu, der noch nicht zu reflexivem Selbstverhältnis, Selbstbewußtsein u. Gewissen gelangt, aber seiner ganzen Potenz nach auf demWeg zu einem entwickelten Personsein ist, dem eben erst gezeugten ”Embryo“. Ebenso kommen sie dem Menschen zu, der als Behinderter u. Beschädigter auf diesem Weg steckengeblieben ist, u. demjenigen, der sie einmal besessen, sie aber alters- oder krankheitshalber hinter sich gelassen hat; sein Menschsein, das verhindert, daß er als Sache angesehen wird, ist ihm geblieben. Mit der personalen Freiheit als einem der beiden Grundvermögen des menschlichen Geistes u. der Fähigkeit zu vernünftigem Urteil ist als ein den Menschen auszeichnendes Merkmal das Gewissen gegeben, das ihn unter den Anspruch des ethisch Guten u. des Handelns in Verantwortung stellt. Was den Menschen vor dem Tier auszeichnet, sein geistiges Person-Sein in Erkenntnis u. Freiheit, ist durch den unendlichen Horizont ihrer Aktivität auf eine Vollendung (Endgültigkeit) hin angelegt, die es doch nie aus eigener Kraft zu erreichen vermag, weil es im Tod diese Existenz- u. Tätigkeitsform aufgeben muß; auch in seinem ethischen Sollen gelangt es nicht zur angezielten Vollendung (Glück), weil es dem Sollensanspruch nie ganz gerecht wird u. auch dieser mit dem biologischen Leben endet.   2. Theologisch. Die Zeugnisse der Gottesoffenbarung im AT u. NT enthalten Aussagen über den Menschen, die den Anspruch erheben, den Menschen zur vollen Erkenntnis seines konkreten Wesens zu bringen. Der M. wird als das in seiner Welt unvergleichliche Wesen geschildert, so sehr als Subjekt, daß dieMenschen allein Partner Gottes sind, denen gegenüber alles andere von Gottes Schöpferwillen her die vom Menschen treu zu behütende Umwelt ist (Gottebenbildlichkeit). Die menschliche Subjektivität als Geist, Freiheit, ewig individuelle Bedeutung u. Gültigkeit vor Gott, als Fähigkeit zu einem echt dialogischen Verhältnis zu Gott, bis hin zur absoluten Nähe zu Gott ”von Angesicht zu Angesicht“, die Nähe zu Gott im Erkennen Gottes so wie die Menschen von ihm erkannt sind (wobei ”Erkennen“ biblisch intime Liebe meint), ferner als die Möglichkeit, zur ”Äußerung“ Gottes zu werden: das alles bedeutet Mensch-Sein nach der Offenbarung Gottes. Das alles macht den Menschen wirklich zu einem Seienden, das im letzten nicht Teilstück eines größeren Ganzen (der Welt), sondern gewissermaßen das Ganze in je einmaligerWeise ist, Person, ”Existenz“ im Gegensatz zum bloß Vorhandenen. Die echt geschichtliche, das heißt einmalige (nicht zyklische) Geschichte des Kosmos ist ein ”Moment“ an dieser Geschichte zwischen Gott u. M. von Anfang an bis zum Ende; die Geschichte des Menschen ist nicht ein ”Moment“ einer umfassenden ”Kosmogonie“ (Weltwerdung), sondern Welt ist nur die voraus-gesetzte Ermöglichung der Geschichte desMenschen u. hat in dieser ihren letzten Ermöglichungsgrund. Das Ende des Kosmos ist von der Geschichte des Menschen vor Gott bestimmt. Innerhalb dieser Geschichte weiß sich der glaubende M. trotz seiner Geschöpflichkeit u. seines Versagens im Schuldigwerden als der von Gott immerfort geschichtlich Angesprochene, u. zwar mit dem Wort absoluter, freier, gnadenhafter Selbstmitteilung Gottes , das denMenschen zur Anschauung Gottes in dessen eigenstes inneres Leben hinein beruft. Von dieser Verheißung her gesehen wird deutlich, daß die Möglichkeit der Schöpfung in der radikaleren Möglichkeit der Selbstentäußerung Gottes begründet ist (dogmatisch gesprochen: da ja in dem ”einfachen“ Gott nicht einfach verschiedene Möglichkeiten nebeneinanderliegen). Dann ist der M. in ursprünglicher Definition: ”das mögliche Anderssein der Selbstentäußerung Gottes“ (K. Rahner).
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