Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Literatur
   (lat. = Schrifttum) meint hier ”schriftliche Kunstwerke“, die ”Dichtkunst“, die sich in unterschiedlichsten Formen u. Gattungen äußert. Sie stand schon in der Antike in engem Zusammenhang mit der Religion, aus der sie Stoffe u. Sprache nahm. Diese Verbindung war im Christentum kirchlich orientiert u. dauerte so im christlichen Bereich bis in das aus-gehende 18. Jh. an. Mit Aufklärung u. Säkularisierung setzte die Emanzipation des dichterischen Genies von normativer Fremdbestimmung, sein Beharren auf der Darstellung authentischer Ich-Erfahrungen u. zugleich sein Engagement in Religions- u. Kirchenkritik ein. ”Tendenzen“ dieser Art konnten sich durchaus mit Kritik an Fortschrittsglauben, an Rationalität u. emotionalen Defiziten verbinden. Eher als bei Kirchenleitern u. Theologen wurden bei Schriftstellern u. Dichtern Gedanken, Stimmungen u. Sehnsüchte einer jeweils bestimmten Zeit verarbeitet u. Krisenerscheinungen ”verbalisiert“. Seit der Romantik kamen dann Bemühungen bei Frauen u. Männern um eine ”christliche L.“ auf, im 19. Jh. erstmals auch um eine spezifisch ”kath. L.“, nachdem im Zusammenhang mit den Vorwürfen kultureller Inferiorität u. patriotischer Unzuverlässigkeit der Katholiken der Protestantismus mit kirchenfeindlichem Liberalismus gleichgesetzt wurde. Der Rückgriff mancher Schriftsteller u. Dichter auf religiöse Traditionen (Mystik, Mythen) u. Symbole, die Bearbeitung kirchlicher Stoffe in polemischer Absicht u. bewußte, mit den kirchlichen Moralvorstellungen nicht vereinbare Provokationen führten zu heftigen kirchlichen u. theol. Abwehrreaktionen gegen die ”moderne Lit.“ (auf kath. Seite wurden Gesamtwerke von Schriftstellern auf den Index verbotener Bücher gesetzt; Prozesse angestrengt u. Zensurmaßnahmen gefordert). Auch die Darstellungen von Glaubens- u. Konfessionsproblemen, die Nähe mancher Beschreibungen zu ”existentialistischen“ Lebensgefühlen der Gefährdung, des Nichterlöstseins, der tödlichen Vergänglichkeit, des Ausgesetzt- u. Zerstörtseins bei christlichen Autorinnen u. Autoren erregten Argwohn u. Widerspruch amtlicher kirchlicher Kreise. So war bis in die zweite Hälfte des 20. Jh. das Verhältnis von L., Kirche u. Theologie weithin durch feindselige Distanz gekennzeichnet. Einzelne Theologen machten auf die Bedeutung von L. u. Dichtung für die Wahrnehmung der Wirklichkeit in ihrer Vielschichtigkeit u. für neue sprachliche Gestaltungsmöglichkeiten bei der Vermittlung religiöser u. theol. Inhalte aufmerksam (P. Tillich †1965, R. Guardini † 1968, H. U. von Balthasar † 1988). In der zweiten Hälfte des 20. Jh. setzte sich die Überzeugung durch, daß L. u. Theologie zwei unterschiedliche, selbständige Weisen der Wirklichkeitswahrnehmung u. -formulierung sind u. daß der Prozeß der Trennung notwendig war. Die gelegentlichen früheren Versuche, L. für christliche Apologetik oder kirchliche Zwecke indiskret zu ”vereinnahmen“, gelten als verfehlt. Die (interkonfessionelle) Suche nach Spuren des christlichen Erbes bei Schriftstellerinnen u. Schriftstellern der Gegenwart ist legitim u. erbringt auch im Hinblick auf deren Auswahlkriterien bedeutende Erkenntnisse. Offenheit für das Geheimnis u. den letzten Grund menschlicher Existenz, Unverständnis oder provokatives Verhalten gegenüber religiösen Mentalitäten u. Praktiken, Verhüllung eigener religiöser Interessen u. Motive in literarischen Werken stellen der Theologie immer neue Aufgaben u. verlangen intensive Beschäftigung mit L.
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