Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Leidenschaft
   (lat. ”passio“, griech. ”pathos“) heißt in der scholastischen Anthropologie das sinnliche Strebevermögen (Sinnlichkeit) des Menschen u. dessen Aktuierung, stärker u. dauerhafter als der Affekt. Bei Thomas von Aquin († 1274) wird die L. in Lust- u. Leistungsstreben unterschieden. Die Aktuierung des Luststrebens erfolgt aufsteigend stufenweise (Wohlgefallen – Begehren – Genießen) oder von dem Unlust Bereitenden absteigend (Mißfallen – Flucht – Trauer); ebenso geschieht die Aktuierung des Leistungsstrebens (Hoffnung u. Kühnheit bzw. Niedergeschlagenheit – Furcht – Zorn). Diese den Trieben “ der späteren Psychologie vergleichbaren Leidenschaften sind nach kath. Auffassung ihrem Wesen nach gut, bedürfen aber bei ihrer Aktuierung der Ordnung u. Lenkung durch die Vernunft (oft thematisiert im Zusammenhang mit Eros u. Sexualität). Sie bringen die Gefahr mit sich, sich vom einen Ganzen des Menschen zu trennen u. sich krankhaft zu verselbständigen (z. B. im Fanatismus oder im Destruktionstrieb). Im Blick auf die Erbsünde können sie als der ”Ort“ gesehen werden, an dem das negative Element an der Begierde in Erscheinung tritt. Anderseits treiben sie den Menschen, z. B. durch Mitleid u. Solidarität, zu ”leidenschaftlichem“ Engagement an u. werden so als Impulse der Gnade Gottes erkannt. Ähnlich positiv wirkt die künstlerische L. Darum ist es (wiederum nach Thomas) unsittlich, Leidenschaften bewußt ausmerzen zu wollen (wie das mit verschiedenen Motiven u. a. Platon †347 v.Chr. u. I. Kant † 1804 forderten). Gelegentlich thematisiert die moderne Psychologie die Leidenschaften unter den Stichworten ”Emotionen“ u. ”Motivationen“ (S. Freud †1939; E. Fromm †1980).
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