Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Leiden Jesu Christi
   1. Biblisch. Sehr altes Traditionsgut enthalten wohl die formelhaften Bekenntnisse (1 Kor 15, 3 f.). Diskutiert wird ein vor-paulinischer ”Urbericht“ von der Kreuzigung Jesu (Mk 15, 20b-41) mit Gestaltungselementen aus dem AT (vor allem Ps 22 u. 69). Nach exegetischer Auffassung ist damit zu rechnen, daß die Synoptischen Evangelien ihre Erzählungen vom L. J. Ch. bereits unter dem Eindruck der paulinischen Kreuzes- u. Sühnetheologie geformt haben; weitere Elemente christologischer u. soteriologischer Art prägen die heutigen Textgestalten (Mk: äußerste Not – Rettung durch Gott in aller Öffentlichkeit, verdeutlicht durch Zerreißen des Tempelvorhangs u. Bekenntnis des Hauptmanns; Mt: Erfüllung biblischer Verheißungen, Jesus als Vorbild im Leiden der frühesten Gemeinden; Lk: Jesus als der Anführer auf dem Heilsweg, Wiederherstellung des Gottesverhältnisses; Joh: durch das L. J. Ch. Verherrlichung u. Erhöhung Jesu durch das Kreuz). – In den Synoptischen Evangelien kündigt Jesus den Ausgang seines irdischen Lebens bis in die einzelnen Abläufe hinein in den Leidensweissagungen an (Mk 8, 31 par.; 9, 30 ff. par.; 10, 32 ff. par.). Als ursprüngliche Absicht gilt der Aufweis, daß Jesus sich einem ihm bekannten göttlichenWillen zugunsten der ”vielen “ unterworfen hat. Nach exegetischer Auffassung handelt es sich um nachösterliche Bildungen, die von der Entschlossenheit, mit der Jesus auf seinen Tod zuging, angeregt worden waren.   2. Theologiegeschichtlich. Angesichts der biblischen Zeugnisse zweifelte die frühchristliche Theologie überwiegend nicht an der Leidensfähigkeit Jesu Christi. Zweifel an der wahrenMenschheit Jesu (Doketismus) wurden zurückgewiesen. Eine gewisse Tendenz hielt sich von der Kirchenväterzeit bis ins 12. Jh., wenn auch nicht breit bezeugt: Der göttliche Logos, der mit Jesus geeint war, habe das Leiden des Menschen Jesus erst durch einen eigenen Willensentschluß ermöglicht. In der Hochscholastik wurde das Problem im Zusammenhang mit der Sündlosigkeit Jesu gesehen: Der göttliche Logos habe alle Schwächen u. Unvollkommenheiten der Menschennatur angenommen, die nicht direkt von der Sünde verursacht waren. In der Folge zeigten sich bis zur Gegenwart die Folgen des Konzils von Chalkedon u. seiner unmittelbaren Auswirkungen, wonach die Menschennatur Jesu Christi ihr Personsein im göttlichen Logos habe. Daß in diesem Vorstellungsmodell das Leiden Jesu nicht mehr die gleiche zerstörende Wirkung auf die menschliche Persönlichkeit u. auf das Gottesverhältnis haben konnte wie das Leiden der nicht mit einem Logos geeinten menschlichen Kreatur, Jesus im letzten doch nicht mit der gepeinigten Menschheit solidarisch sein konnte, liegt auf der Hand.
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