Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Leib
   1. Zugang. Die Sprache bietet die Möglichkeit, zwischen einem Körper u. einem Leib, d.h. einem lebendigen, von Geistigkeit geprägten Körper, zu unterscheiden. Nur der letztere wird hier mit L. bezeichnet. Im Gespräch der Theologie mit den Naturwissenschaften kann heute der aristotelische Hylemorphismus, der die ”erste Materie“ durch das gestaltgebende Lebensprinzip, die Form, die Seele, zum menschlichen L. werden ließ, nicht mehr als Verständigungsbasis dienen. Die Existenz von Geist, der sich (unbehindert herangewachsen) im Bewußtsein äußert, wird naturwissenschaftlich akzeptiert, aber sie gilt als völlig abhängig von einem biologischen ”Substrat“ (lat. = Unterlage), dem Gehirn, das zu dem nach mechanisch-physikalischen Gesetzen funktionierenden Körper gehört. Diese Abhängigkeit ist unbestreitbar, aber der menschliche Geist läßt sich nicht einfach auf den Körper zurückführen. Das menschliche Bewußtsein, Denken u. die Sprache sind auf sinnliche Wahrnehmung angewiesen. Einen Selbstvollzug der Seele kann es ohne das Medium der Materie nicht geben. Je größer u. stärker, reflexer u. bewußter ihr Selbstvollzug wird, je mehr also der Mensch von seinem Geist bestimmt wird, um so mehr wird er L. Damit ist auch gegeben, daß der L. das Medium aller Kommunikation ist u. daß der ”Selbstvollzug“ der menschlichen Seele im Maß des Mitseins eines leib-haftigen Menschen mit anderen leib-haftigen Menschen in leibhaftiger Welt wächst. Diese Komponente des bewußtsein leib-seelischen Mitseins ist für das Person-Werden (Ich-Annahme) des Menschen von der Kindheit an von größter Bedeutung. Die Beschädigung des Menschseins durch leibfeindliche Erziehung u. Askese, aber auch durch Gewaltanwendung wird von da aus deutlich. Der positive Sinn von non-verbaler Kommunikation für das Person-Werden durch leiblichen Austausch (Zärtlichkeit) wird ebenfalls deutlich.   2. Biblische Aspekte. Eine allgemein akzeptierte Erkenntnis der Bibelwissenschaften besagt, daß die alttestamentliche u. von da her weite Teile der neutestamentlichen Menschenauffassung ”ganzheitlich“ waren. Das menschliche Seelenleben ist auf die leiblichen Medien (”Herz“, ”Nieren“, ”Fleisch“) angewiesen. Erst der Tod macht diesem ganzheitlichen Dasein ein Ende. Die Fortexistenz leibloser Schatten, in denen dennoch das alte ”Ich“ den Tod überlebt, war gemeinsame Anschauung in den antiken Gesellschaften des Mittelmeerraums u. des Nahen Ostens. Nach Israels Glauben endete die Macht JHWHs an der Grenze dieser Scheol nicht. Gerechten u. v. a. Märtyrern dachte man eine wohl nicht ganz leibfreie Entrückung zu Gott zu. Das späte Eindringen hellenistischen (”dualistischen“) Denkens ist in der Weisheitsliteratur, im Frühjudentum u. im NT zu beobachten. Die eschatologische Erwartung umfaßt nun auch die Auferstehung der Toten . Dualistische, den Leib abwertende, auf psychologischen Beobachtungen der Gespaltenheit u. Triebgebundenheit des Menschen beruhende Tendenzen sind Paulus nicht abzusprechen; wichtig sind seine Unterscheidung eines ”inneren“ u. eines ”äußeren“ Menschen sowie seine Hoffnung auf eine ”Erlösung“ des der Sünde u. dem Tod ausgesetzten Leibes (entscheidende Texte in Röm 6 u. 7; 2 Kor 4 u. 5). Der L. der Glaubenden ist Eigentum Jesu Christi u. ”Tempel des Heiligen Geistes“ geworden, so daß sie die Pflicht haben, Gott in ihrem L. zu verherrlichen (Röm 12, 1; 1 Kor 6, 19 f. u. ö.9). Über unbefangene Freude am L. reflektiert Paulus nicht. In den Deuteworten zum Brot beim Abendmahl Jesu bedeutet ”Leib“ das Ich, die konkrete Person. – In der christlichen Tradition sind immer wieder dualistische, den L. abwertende Tendenzen mächtig geworden. Gegen die oft übermächtige, von Augustinus († 430) u. seiner Biographie (Manichäismus) geförderte neuplatonische Auffassung des Menschen setzte die aristotelisch-thomistische Philosophie die Erkenntnis von der radikalen substantiellen Einheit des Menschen, bei dem L. u. Seele auf einander angewiesene Prinzipien des einen menschlichen Selbstvollzugs sind. Erfahrene Grenzen (Krankheit, Alter, aber auch begrenztes Erkenntnisvermögen) haben oft die Meinung gefördert, das Seelische u. Spirituelle seien der ”eigentliche“Mensch (”rette deine Seele!“). Viele Generationen mußten (u. müssen bis heute) sich mühsam einen Weg gegen amtlich-kirchliche Widerstände zu humaner Gestaltung der Sexualität bahnen, die Verteufelung von Erholung, Mode u. Kosmetik bekämpfen. Der Feminismus muß nach wie vor alle Kräfte für die Selbstbestimmung der Frauen für ihren L. mobilisieren. Starke Motive der Glaubenstradition gegen die Vernutzung u. Abwertung des menschlichen Leibes beider Geschlechter sind die Erschaffung (gleichberechtigter!) Menschen zur Gottebenbildlichkeit, die wahre Menschwerdung des göttlichen Wortes, die Einsenkung der Gegenwart des göttlichen Geistes in die Herzen der Menschen, die Verheißungen der Auferweckung des ganzen Menschen aus dem Tod u. der Vollendung der Schöpfung in der Anschauung Gottes .
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Leib