Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Kreuz
   ist ein uraltes menschliches Symbol mit vielen Varianten u. Bedeutungen sowie das in der Antike bei den Römern gebräuchliche Hinrichtungsinstrument. Das NT bezeugt die konkrete Hinrichtungsart bei Jesus u. verwendet das Kreuztragen metaphorisch für die Nachfolge Jesu . Im Joh-Ev. wird das K. überdies in Zusammenhang mit der Erhöhung Jesu gebracht. Bei Paulus findet sich eine Theologie des Kreuzes. Das K. ist für Nichtglaubende ein ”Ärgernis“ u. eine ”Torheit“, den Glaubenden aber das durch den Geist geoffenbarte Geheimnis der göttlichen Weisheit (1 Kor 1, 17–25; 2, 6–10). Gal , 13 deutet Jesu Tod am K. als Fluchtod unter Bezugnahme auf Dtn 21, 23 (vgl. 2 Kor 5, 21). Im Glauben leben bedeutet die Mitkreuzigung des ”alten“ oder fleischlichen Menschen mit Jesus (Gal 5, 24; Röm 6, 6). Auch in anderen Schriften des NT tritt das ”Für uns“ des Kreuzes Jesu in Erscheinung. Nach Kol 1, 20 geht vom K. kosmische Versöhnung aus. In der Theologiegeschichte wurde das K. in unterschiedlichen Zusammenhängen thematisiert, im Hinblick auf die Nachfolge Jesu im blutigen Martyrium u. in der unblutigen ”Kreuzigung“ der Mönche, in der Leidensmystik, in der Frage nach der Leidensfähigkeit des göttlichen Logos oder (nur) derMenschheit Jesu, vor allem aber in den Erwägungen über die Heilsbedeutung des gewaltsamen Todes Jesu (von Petrus Lombar-dus †1160 aus bei Thomas von Aquin †1274). Nach der Trennung der Soteriologie von der Christologie gehört die Erlösung (u. mit ihr das K.) in das soteriologische Zentrum. Alle theol. Anschauungen M. Luthers († 1546) sind von seiner Kreuzestheologie geprägt, die den Menschen in seiner radikalen Verfallenheit an die Sünde u. das K. als die Übernahme von Sünde u. Fluch (s. Paulus) durch Jesus Christus sieht, so daß an die Stelle der menschlichen Überheblichkeit u. Nichtigkeit die durch Gott in ihm geschenkte Gerechtigkeit treten kann. Alles von Gott kommende Heil gründet im K. Alle menschlichen Bemühungen um vernunftgemäßes Verstehen der Wege Gottes u. um Wirken aus der empfangenen Gnade sind für Luther Produkte der Überheblichkeit, von der die ”Theologie der Glorie “ der alten Kirche geprägt ist. Der Verborgenheit Gottes entspricht die Erniedrigung Jesu u. in dessen Nachfolge die Niedrigkeit des Christen u. seiner Kirche. Innerhalb des reformatorischen Denkens blieb Luthers Kreuzestheologie zunächst singulär. In der vom ev. Glauben geprägten Philosophie G. W. F. Hegels († 1831) ist das K. (nur) eine notwendige Phase (”spekulativer Karfreitag“) im Prozeß der Geistesgeschichte. ”Erben“ der radikalen Kreuzestheologie Luthers sind S. Kierkegaard († 1855), K. Barth († 1968) u. in seiner kath. Nachbarschaft H. U. von Balthasar († 1988), ferner die Theologen der Ohnmacht u. des Schmerzes des ”gekreuzigten Gottes“. Es wird der radikalen Kreuzestheologie schwer fallen, die menschlichen Verzweiflungen an Gott angesichts der Leiden seiner Kreatur, angesichts der Untätigkeit u. des Schweigens Gottes im millionenfachen Tod, angesichts der Sterbensqualen einfach als menschliche Überheblichkeit zu übergehen. Auch die Kreuzestheologie beantwortet die Fragen u. Klagen der Theodizee nicht. Das K. hat nicht einfach die Verbrechen menschlicher Freiheit ”gesühnt“ (Sühne). Wo sind Heil u. Gerechtigkeit erfahrbar? So erreichen die Worte des Findens Gottes allein im K. u. der universalen, im K. erwirkten Versöhnung nur noch solche, die mit ihrem Leben versöhnt sind.
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Ansicht: Kreuz