Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Krankheit
   ist nach einem weit verbreiteten, von der ”Weltgesundheitsorganisation “ mitgetragenen Verständnis ein physischer oder psychischer oder psycho-physischer Zustand, der von einem Menschen als Störung seines Wohlbefindens empfunden wird. In dieser Sicht besteht K. nicht mehr nur in einer mechanistisch erklärbaren Funktionsstörung, sondern das menschliche Subjekt (Person) wird ernstgenommen; ebenso wird eine breite Basis für das helfende u. heilende Einwirken anderer, vor allem der Ärzte, angenommen. Die religiöse Sicht fragt nach den Gründen, warum Krankheiten existieren, u. welchen Sinn sie für die Menschen haben könnten. In der Bibel (vor allem in den Klagepsalmen) wird die Existenz von Krankheiten beklagt u. als zerstörerisch für die Beziehung zu Gott empfunden. Ein Zusammenhang mit der Sünde im allgemeinen u. eine Zusammengehörigkeit von K. u. Tod führen zu der Auffassung, daß Krankheiten als Strafe Gottes für das gottwidrige Verhalten der Menschheit im ganzen zu deuten seien. Die individualistische Sicht, daß K. eine Strafe für persönlich begangene Sünden sei, wird von AT u. NT abgelehnt. Im NT tritt eine personifizierende Auffassung von Sünde (als gottwidriger Macht) zutage, die sich mit der geläufigen Meinung verbindet, K. sei oft eine Manifestation von dämonischer Besessenheit. Jesus wirkte dem Bösen u. Leidvollen der K. durch zeichenhafte Heilungen u. Exorzismen entgegen, ohne die K. u. ihre Herkunft theol. zu deuten. Gelegentlich versteht die Bibel die K. als Erprobung von Glaube u. Hoffnung oder als Appell zur Besinnung. Die theol. Tradition hat einhellig die Existenz von K. als Folge der Erbsünde u. damit als von Gott verhängte Straffolge aufgefaßt. Diese Sicht führte auf der einen Seite zu pastoralen Ermahnungen, die K. gottergeben zu tragen; auf der andern Seite konnte sie das christlichpraktische Engagement der Bekämpfung der K., der Krankenfürsorge u. -seelsorge nicht lähmen. Nicht jede K. kann von vornherein als sinnlos verstanden werden. Es gibt Erkrankungen, die zur Besinnung auf den bisherigen Lebensstil, zu radikaler Änderung der Lebensweise, zu praktiziertem Mitleid mit anderen Kranken usw. aufrufen. Es gibt auch ohne Zweifel sinnlose Krankheiten u. entwürdigende Krankheitsformen, so wie es sinnlosen Tod gibt. Die damit gegebene unbeantwortbare Theodizee-Frage darf nicht durch seelsorgliche Leerformeln u. pseudoreligiöse Phrasen (als könne die K. ”auf die Ebene der Erlösung gehoben“ werden) zugedeckt werden. Auch der Tod Jesu Christi (Kreuz) ist keine Antwort auf das namenlose Leiden der Kreatur.
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