Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Krankensalbung
   im kath. u. ostkirchlich-orthodoxen Glaubensverständnis der sakramentale Akt der Kirche am kranken Menschen, mit dem die Gemeinschaft der Glaubenden ihre Hoffnung auf die Überwindung des Todes u. seine weit im Leben vorausdrohenden Anzeichen in der Krankheit bezeugt. Nach dem Willen des II. Vaticanum soll die K. (”unctio infirmorum “) besser nicht ”Letzte Ölung“ genannt werden, da sie nicht nur das Sakrament für diejenigen ist, die sich in äußerster Lebensgefahr befinden (SC 73 ; LG 11 ). Nach der röm. Ordnung von 1972 ist es für die bestimmt, deren Gesundheitszustand bedrohlich angegriffen ist, u. für die, die sich in Lebensgefahr befinden.   1. Zur Geschichte. Die biblische Begründung wird stets von Jak 5, 14 ff. abgeleitet, wonach die Vorsteher der Gemeinde (die ”Ältesten“) über den Kranken beten, ihn mit Öl salben (gemäß der alten Verbindung von Salbung u. Heilungshoffnung) u. den Namen des Herrn anrufen sollen; dieseWeisung ist mit der Verheißung verbunden, daß Gott den Kranken ”aufrichten“ u. ihm die Sünden vergeben wird; damit man Heilung finde, sollen die Gläubigen einander die Sünden bekennen u. füreinander beten. Die spätere theol. Reflexion bezog sich darauf, daß die hier ausgesprochene ”Vollmacht“ vor allem der Sündenvergebung nur von Gott geschenkt sein kann, so daß die Symbolhandlung als ein Sakrament aufgefaßt werden darf, auch wenn ein ausdrückliches ”Stiftungswort“ Jesu fehlt. Das Verständnis u. die Praxis der K. erlebten im Lauf der Geschichte einschneidende Veränderungen. Die älteste im Zusammenhang mit der K. relevante Tradition (erste Hälfte des 3. Jh.) bezieht sich auf die dem Bischof vorbehaltene Ölweihe; durch sie erlangt das geweihte Öl seine heilende u. stärkende Kraft. Die Frage nach einer speziellen ”Spendervollmacht “ stellt sich überhaupt nicht: auch ”Laien“ können das geweihte Öl bei sich zu Hause aufbewahren, bei anderen u. sogar bei sich selber in der ganzen Breite der von der Antike her bekannten Möglichkeiten anwenden. Die Intention der Zeugnisse geht dahin, Gläubige abzuhalten, sich Öl bei Zauberern zu beschaffen. Diese Sicht ist in einem Schreiben des Bischofs von Rom von 416 wiedergegeben, in dem die K. erstmals ”Sakrament“ genannt wird. Auffassung u. Praxis änderten sich im germanisch-fränkischen Bereich (”karolingische Renaissance“), als die K. dem geweihten Priester vorbehalten wurde u. für eine K. (wegen der ntl. Mehrzahl der ”Ältesten“) z.T. 7 Priester notwendig wurden u. aufwendig entlohnt werden mußten; im Fall der Genesung mußte der Geheilte weitgehend lebenslang auf die Freuden der Sinne, die mit der K. Gott geweiht wurden, verzichten. Diese Faktoren bewirkten, daß die K. auf das Lebensende verschoben, zur ”Letzten Ölung“ (”extrema unctio“) wurde. Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich im Bereich der Ostkirchen: K. nicht nur als Heilmittel der Kranken, sondern auch als Vollendung der Buße. Die Betonung verlagerte sich in Ost u. West auf die Heilung der Seele. Bei der sakramententheol. Reflexion der Scholastik über Begriff u. Zahl der Sakramente gehörte die K. immer zur Siebenzahl; ihre sündenvergebende Wirkung (eigentliche Sünden oder nur Sündenstrafen?) wurde diskutiert. Während M. Luther († 1546) die K. auf eine Empfehlung des Apostels Jakobus zurückführte, also ihre Sakramentalität bestritt, aber ihren Gebrauch freistellte, lehnte J. Calvin († 1564) die K. strikt ab. Das Konzil von Trient verteidigte die K. als von Jesus Christus eingesetztes, von Jakobus rechtskräftig verkündetes Sakrament v. a. für Kranke in Todesgefahr, das Gnade mitteile u. Vergebung der Sünden bewirke, den Kranken zum leichteren Ertragen der Krankheit aufrichte, u. manchmal, wenn es der Seele nütze, zur Genesung verhelfe; ”eigentliche Spender“ seien die Priester. In diesem Sinn wurde die K. in der kath. Kirche 400 Jahre lang gelehrt u. praktiziert. Während sich die Theologie relativ wenig mit ihr beschäftigte, geriet das Sakrament mit zunehmender Aufklärung u. Säkularisierung in eine Existenzkrise: Den mit der K. herannahenden Priester empfanden viele Kranke, Angehörige u. Ärzte als Todesboten, durch dessen Erscheinen die Ängste des Patienten vermehrt u. die Widerstandskräfte vollends gebrochen würden. Im Glauben unterrichtete Patienten, die in der Krankheit Trost u. Hilfe vom Gebet u. vom Vollzug des Bußsakraments u. von der Eucharistie (als der eigentlichen ”Wegzehrung“) erhofften, dabei durchaus positiv zur Kirche gehören wollten, sahen nur noch historische Gründe für die Existenz der K. u. lehnten sie daher als überflüssig ab. In dieser Situation reformierte das II. Vaticanum Lehre u. Praxis der K. (siehe oben). Für diejenigen, die in traditioneller Religiosität die Praxis der K. beibehalten wollen, bedeutet der Priestermangel in der Krankenhausseelsorge, daß Kranke in der Situation großer Not von der Kirche im Stich gelassen werden. Die Geschichte der K. zeigt, daß sie ohne theol. Probleme in die Obhut von Diakonen u. Laien gelegt werden könnte. Dies wegen der Berufsprofilierung der Priester zu verweigern, stellt ein Fehlurteil in der Abwägung von Gütern dar.
   2. Zur Theologie. Die theol. Deutung der K. kann nicht mehr von einem inneren Zusammenhang von Krankheit u. Sünde ausgehen. Daß die K. in einer Situation tiefer Krise des Leidenden eine spezifische ”Begegnung mit dem leidenden Herrn“ sein soll, ist ein interessebedingtes ideologisches Konstrukt, ebenso die Forderung, die K. als Tauferneuerung zu verstehen. So bleibt als theol. Basis offensichtlich nur der ekklesiale Aspekt: In einer andrängenden Not, mit Ängsten, Schmerzen u. Hilflosigkeit verbunden, die an Mitleid u. Solidarität appelliert, bekennt sich die Kirche in einem Sakrament, das wesentlich im fürbittenden Gebet (Epiklese) im Vertrauen auf Gott besteht, als mit dem leidenden Mitmenschen zutiefst verbunden.
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