Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Kirche
(deutsches Lehnwort von griech. ”kyriake“ = dem Kyrios, dem Herrn, Gehörende). 1. Biblisch. Die christliche K. ist in einem leidvollen Trennungsprozeß aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft ausgeschieden, ohne jemals ihre Verwurzelung im jüdischen Glauben u. ihre Übernahme (nicht: Erbe) jüdischen Eigengutes (Gemeinschaftscharakter, Hauptbegriffe, Liturgie, Gebete, Heilige) ignorieren zu können. Die Entstehung u. Existenz der K. sind in Israel nicht vorausgesagt oder (”typologisch“) vorausbedeutet worden. Der ntl. Begriff für K. (griech. ”ekklesia“, wörtlich: das Herausgerufensein, von da her: Versammlung, wie hebr. ”qahal“) umfaßt sowohl die Gesamtkirche als auch die Ortskirche (K. Gottes in Korinth) als auch die Hauskirche. Absichten Jesu, eine eigene, von Israel getrennte Glaubensgemeinschaft zu gründen, sind nicht erkennbar, auch nicht in der Berufung von Jüngern und Jüngerinnen zur Nachfolge. In den Evangelien begegnet ”ekklesia“ im Sinn von ”Gesamtkirche“ in der Verheißung an Petrus (Mt 16, 17 ff.) u. im Sinn von ”Ortskirche“ oder auch Gemeindeversammlung (Mt 18, 17), jeweils einmal, nach exegetischer Auffassung erkennbar nachösterliche Bildungen. Die ältesten Zeugnisse für eine Kirchengründung, diejenigen bei Paulus, führen die Existenz der Kirche auf das Wirken des Heiligen Geistes zurück (1 Kor 12), noch deutlicher im lukanischen Doppelwerk (Lk 4, 18 21; Apg 2: das Pfingstereignis). Die ersten Lebensäußerungen der K. bestanden darin, daß diejenigen Jünger (u. Jüngerinnen), die durch die Erscheinungen des auferweckten Jesus die Gewißheit erlangt hatten, daß der Hingerichtete als zu Gott Erhöhter lebt, sich in seine Sendung einbezogen wußten u. seine Verkündigung des Evangeliums aufnahmen. Das entscheidende Ereignis der Urkirche war die Entscheidung, sich für ”Heiden“ (Heidentum) zu öffnen (Apg 15, 1–29; Gal 2,1–10) u. damit die Mission zu bestätigen, die einige im Bewußtsein ihrer Berufung schon vorher begonnen hatten. Das tiefere theol. Selbstverständnis der K. in ntl. Zeit äußert sich in Metaphern, die teils dem jüdischen Sprachgebrauch entnommen, teils spezifisch christliche Neubildungen sind. Die Übernahme von Prädikaten, die Israel gehören, geschah in den ntl. Schriften noch nicht in der Absicht, eine ”Beerbung “ Israels zu behaupten; sie bezeugen vielmehr ein Stadium, in dem Israel einfach ”aus dem Blick“ geraten war. Dazu gehören die Selbstbezeichnungen als Volk Gottes “ u. als ”königliche Priesterschaft“ (Priestertum) . Christlich sind die Metaphern vom Leib (Jesu ) Christi , vom Bau u. Tempel Gottes (1 Kor , 9–17; Eph 2, 19–22; 1 Petr 2, 5; Hebr , 6 u. ö.), von der Braut Christi (Offb 19, 7 9; 2, 17; Eph 5, 25 ff.), im johanneischen Schrifttum die Metaphern von Hirt u. Herde (Joh 10) u. vom Weinstock mit den Rebzweigen (Joh 15). Alle diese Metaphern zeigen, daß die K. sich nicht als menschlicher Zusammenschluß von Glaubenden, sondern als Gründung Gottes im Heiligen Geist verstand, mit den Aufgaben, einander im Glauben zu stärken, die Vielfalt der Gaben (Charisma) in den Dienst des Ganzen zu stellen, in der Lebensführung der Berufung als ”Heilige“ zu entsprechen u. nach ”außen“ hin glaubwürdig (durch die ”Früchte des Geistes“ ausgewiesen) das Evangelium Jesu Christi zu bezeugen. Als wesentliche sakramentale Selbstvollzüge der jungen Kirche erscheinen Taufe u. Eucharistie, doch sind auch Ansätze zu weiteren Sakramentsbildungen zu erkennen. Diesen Zielen, die als Wille Gottes erkannt u. geglaubt werden, dient der immer deutlichere Ausbau kirchlicher Dienste u. Ämter (Amt). Während die Apg ein Idealbild des christlichen Gemeinschaftslebens zeichnet, das so wohl konkret nie existiert hat, wird aus Briefen u. Evangelien (Mt 18; Joh 20) deutlich, daß die frühe Kirche unter dem Vorkommen massiver Schuld in ihrer Mitte litt, daß Parteien, Spaltungen u. (in den ”johanneischen“ Brudergemeinden) ein sektenhaftes Konventikelwesen existierten; ferner mußte die Identität des Evangeliums mühsam gegen abweichende Interpretationen (Häresien) unter Rückbezug auf die Tradition des Anfangs gesichert werden. So sind auch Anfänge der Bildung des biblischen Kanons zu erkennen, in dem sich die frühe Kirche ihre normative Heilige Schrift gab.
2. Zur Theologiegeschichte. Aus der Zeit der Kirchenväter sind sehr viele Zeugnisse dafür erhalten, wie sich die K. des Altertums verstand, die jedoch nirgendwo zu einer Ekklesiologie systematisch zusammengefaßt wurden. Trotz der großen Unterschiedlichkeit der so weit gestreuten Ortskirchen läßt sich verallgemeinernd sagen, daß die Gemeinden überall im Bewußtsein des von Gott in Jesus Christus geschenkten endgültigen Heils lebten, sich die Heilstaten Gottes unter Lobpreis u. Dank in der Eucharistie vergegenwärtigten, das Evangelium wenigstens im Gottesdienst verkündigten u. sich in ihrem Leben von den Impulsen des Heiligen Geistes leiten ließen (in den Glaubensbekenntnissen wurde die K. immer im 3. Hauptstück, das vom Heiligen Geist sprach, genannt). Das innere ”Wesen“ der so als Geheimnis des Glaubens verstandenen K. wurde in der Theologie der Kirchenväter mit über das NT hinausgehenden Metaphern umschrieben, die sehr stark vom Gedanken der Rettung aus der verlorenen u. dem Untergang zugehenden Welt geprägt waren. Wenn der wirksame Heilswille Gottes in seiner Universalität berücksichtigt wurde, mußte das von Gott geschenkte Heil nicht auf die Kirchenmitglieder beschränkt werden. So war es z. B. möglich, von einer K. ”seit Abel“, also von Heilsmöglichkeiten von Anfang an, zu sprechen. Zugleich mit dieser immer lebendigen u. wachsenden Vertiefung in eine ”Innensicht“ der Kirche existierten die durch Streit u. Abweichungen in der Glaubensinterpretation entstehenden Probleme. Sie führten, verbunden mit organisatorischen Notwendigkeiten, zu einem verstärkten Ausbau der kirchlichen Ämter (Amt, Klerus) u. zu zugespitzen Formulierungen der ”wahren“ Kirche u. ihrer Heilsnotwendigkeit (Ketzertaufstreit, Extra Ecclesiam nulla salus , Donatismus). Bei Augustinus († 430) finden sich alle positiven Elemente dieser frühen Kirchentheologie, mit einer Betonung des Leib-Christi-Gedankens u. der Eucharistie als des Zentrums der kirchlichen Einheit, die aber durch seine Begrenzung der Heilsmöglichkeit auf einige wenige Auserwählte beeinträchtigt werden. Seine Unterscheidung von einer nur leiblichen Zugehörigkeit zur K. u. einer solchen dem Herzen nach, in der reformatorischen Theologie im Thema der ”sichtbaren“ u. der ”verborgenen“ K. weiterwirkend u. vom II. Vaticanum positiv aufgegriffen (LG 14 ), bewahrte ihn davor, K. u. Herrschaft Gottes zu identifizieren. Die Ekklesiologie des Mittelalters stand unter zwei Schwerpunktsetzungen, die bis heute Bestand haben: Auf der einen Seite wurde die ”Innensicht“ der K. theol. weiter vertieft, vor allem in den christologischen (Jesus Christus als Haupt) u. sakramententheol. Reflexionen der Scholastik, auf der anderen Seite geriet die Ekklesiologie im Zeichen der Befreiung der K. von der weltlichen Herrschaft (vor allem seit der Gregorianischen Reform des 11. Jh.) immer stärker unter die Herrschaft des Kirchenrechts (der ”Kanonistik“) u. seines streng hierarchischen, auf Gehorsam u. Unterwerfung bedachten Denkens. Innerkirchlicher Widerstand dagegen, der sich bis zum I. Vaticanum hinzog (vor allem in immer neuen Reformansätzen, Konziliarismus), wurde Zug um Zug gebrochen. Die seit dem Konzil von Konstantinopel 381 geläufigen vier Kennzeichen der K. Jesu Christi (Einheit, Heiligkeit, Katholizität u. Apostolizität der K.) wurden im Sinn einer juridischen, auf den Papst konzentrierten Ekklesiologie formuliert. Einen radikalen Ausdruck für die Heilsnotwendigkeit der sichtbaren K., unterstützt durch die Höllendrohung gegen alle Andersdenkenden, fand das Konzil von Florenz 1442. Nach der Reformation u. der Entstehung der ”konfessionellen“ Kirchen stand im röm.-kath. Bereich der institutionelle Aspekt der K. erst recht im Mittelpunkt. Einflußreich bis ins 20. Jh. war die Sicht der K. bei R. Bellarmin († 1621): Die K. ist eine sichtbare Gemeinschaft, so greifbar wie ”das Königreich Frankreich oder die Republik Venedig“, geeint durch die drei ”Bänder“ (”vincula“), nämlich Bekenntnis des wahren Glaubens, Teilhabe an den gleichen Sakramenten u. Unterstellung unter den rechtmäßigen Hirten, den Stellvertreter Christi auf Erden, den römischen Papst. Die auf die K. bezogenen Impulse der Aufklärung (Suche nach einer von der Vernunft erkannten Gemeinsamkeit über alle institutionellen Grenzen hinaus, Ablehnung jeder Fremdbestimmung) wurden im Bereich der röm.-kath. K. zunächst nicht wirksam; ein spätes Echo findet sich bei J. H. Newman († 1890) mit seiner Betonung der personalen Entscheidung (Gewissen, Glaubenssinn) vor jedem institutionellen Element. Die Überlegungen der Tübinger Schule zur K. als einem vom Heiligen Geist belebten Organismus führten zu der extremen, nicht rezipierten Auffassung von der Fortsetzung der ”Menschwerdung Gottes“ (Inkarnation) in der K. Die auf den Papst bezogenen Dogmen des I. Vaticanums sind insofern nicht ausschließlich auf die ”Außenseite“ der K. bezogen, als die Betonung der Unfehlbarkeit dem Schutz der Identität des Glaubens der K. von ihrem apostolischen Anfang an dienen soll. Aus den Erneuerungsbewegungen des 20. Jh. ging die Ekklesiologie des II. Vaticanums hervor, in den Texten freilich unvermittelt mit Elementen der auf den Papst konzentrierten ”hierarchologischen“ Ekklesiologie verbunden.
3. Zur gegenwärtigen Kirchenauffassung. In der K. ist die bleibende Gegenwart des gehörten, weiter verkündigten u. wirksamen Wortes Gottes in der Welt gegeben, so daß die K. durch dessen Eigentümlichkeit, von Gott her u. zugleich ganz menschlich zu sein, geprägt ist. Wenn die K. ”gleichsam“ als Sakrament bezeichnet wird, dann ist damit gesagt, daß die ”innere“ Gnade der Selbstmitteilung Gottes , deren Werkzeug sie ist, u. die ”äußere “ Gestalt der K. weder mit einander identifiziert noch von einander getrennt werden können. In dieser doppelten Sichtweise gründet die Geschichtlichkeit der K. ”In ihren Sakramenten u. Institutionen, die noch zu dieser Weltzeit gehören, trägt die pilgernde K. die Gestalt dieser Welt, die vergeht“ (II. Vaticanum LG 48 ). Diese Geschichtlichkeit der K. widerspricht ihrem verbindlichen Anspruch nicht, denn das Verbindliche ist jeweils nur in einer konkreten Erscheinung anzutreffen. Gegenüber dem immer drohenden Verfall wird die K. immer neu gehalten vom Heiligen Geist, der die abgeschlossene ”öffentliche“ Offenbarung Gottes immer neu geschichtlich enthüllt. Die K. ”ist zugleich heilig u. stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße u. Erneuerung“ (LG 8 ). Die K. lebt in drei Daseinsräumen, in der Innerlichkeit u. im lobpreisenden Bekenntnis des Glaubens u. der Gnade, in der Sichtbarkeit der Sakramente u. des Amtes in seinen geschichtlichen Ausprägungen u. in der umfassenden Praxis der Liebe, innerhalb der K. u. im Dienst am Frieden u. der Einheit der Welt. Die neuere Ekklesiologie u. Praktische Theologie haben sich angewöhnt, dementsprechend von drei Grundfunktionen der K. zu sprechen: Martyria, Leiturgia, Diakonia. Sie werden manchmal ergänzt durch die Koinonia; die Besinnung auf die grundlegende Gleichheit aller vor Gott u. in der K. hat zu der problematischen Verwendung des Begriffs Volk Gottes u. zu der nicht weniger problematischen Communio-Ekklesiologie des II. Vaticanums geführt. Die Betonung des Dienstes u. des Werkzeug-Charakters der K. haben dazu geführt, daß die Aburteilungen u. Verdammungen der Außenstehenden zurückgenommen sind; die Heilsnotwendigkeit der K. kann in ihrem Dienst an den Kirchen, Gemeinschaften u. Individuen gesehen werden, die ihr in unterschiedlicher (gestufter) Weise verbunden sind. Die theologischen Gründe der Trennung der nicht röm.-kath. Kirchen von ”Rom“ liegen bei der ”äußeren“, institutionellen Seite. Die ostkirchlich-orthodoxe Fundierung der K. im Heiligen Geist u. in der Eucharistie ist mit röm.-kath. Glauben ebenso vereinbar wie die reformatorische Auffassung der K. als Gemeinschaft der Gerechtfertigten, die ihr kirchliches Dasein u. ihre Heiligkeit aus demWort Gottes empfangen. Zu der jeweils unterschiedlichen Auffassung des Amtes treten freilich noch große Unterschiede in Mentalitäten, gelebter Spiritualität usw., so daß ein Wiederfinden institutioneller Einheit kaum denkbar ist; eine Ökumene der ”versöhnten Verschiedenheit“ wäre vereinbar mit der Aussage des II. Vaticanums, daß die K. Jesu Christi in jeder Ortsgemeinde verwirklicht ist (LG 26 ).
4. Kirche u.Welt. Nach dem II. Vaticanum ist die K. an kein politisches, wirtschaftliches oder gesellschaftliches System u. an keine bestimmte Kultur gebunden (GS 42 , 58 , 76 ). Sie erkennt Staaten u. Gesellschaften als autonome, von der K. unabhängige Größen an.Wenn sie für sich beansprucht, ”Zeichen u. Schutz der Transzendenz der menschlichen Person“ zu sein (GS 76 ) u. die sich aus Menschenwürde u. Menschenrechten ergebenden ethischen Normen auch in ihrer Geltung für das öffentliche u. staatliche Leben in Erinnerung zu rufen u. wenn sie dadurch auch das Gewissen ihrer eigenenMitglieder bindet, dann verstößt sie nicht gegen die Normen der Gewissensfreiheit u. Toleranz, weil sie damit nicht behauptet, für dasjenige, was in einer jeweiligen geschichtlichen Situation staatlich u. gesellschaftlich zu tun ist, positive u. konkrete Weisungen geben zu können (vgl. GS 42 : die K. hat keine Sendung in den politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Bereich). Die K. weiß sich verpflichtet, aktiv ”zu einer humaneren Gestaltung der Menschheitsfamilie“ beizutragen (GS 40 ); hinsichtlich des konkreten politischen Weges haben die Kirchenmitglieder berechtigteMeinungsverschiedenheiten (GS 43 , 75 ). Damit ist natürlich nicht die Freiheit gemeint, auf der Seite der allein Besitzenden, Unterdrücker u. Ausbeuter zu stehen (GS 63 –72 ). Die Aufgaben der K. in der Welt ergeben sich daraus, daß sie für andere, auch für Ungläubige existiert u. dadurch gegen Unrecht sein muß. Diese Aufgaben sind in einer ”globalisierten“ Welt unter dem Diktat der Unterhaltungsindustrie, der technischen Perfektionierung u. der immer größeren Chancenungleichheit der Menschen viel schwerer geworden als zur Zeit des II. Vaticanums. Die K. steht neu vor der Frage, ob sie sich mit der Hoffnung auf Gehör in dieser Medien- u. Wissenschaftswelt beteiligen oder sich zurückziehen soll.
2. Zur Theologiegeschichte. Aus der Zeit der Kirchenväter sind sehr viele Zeugnisse dafür erhalten, wie sich die K. des Altertums verstand, die jedoch nirgendwo zu einer Ekklesiologie systematisch zusammengefaßt wurden. Trotz der großen Unterschiedlichkeit der so weit gestreuten Ortskirchen läßt sich verallgemeinernd sagen, daß die Gemeinden überall im Bewußtsein des von Gott in Jesus Christus geschenkten endgültigen Heils lebten, sich die Heilstaten Gottes unter Lobpreis u. Dank in der Eucharistie vergegenwärtigten, das Evangelium wenigstens im Gottesdienst verkündigten u. sich in ihrem Leben von den Impulsen des Heiligen Geistes leiten ließen (in den Glaubensbekenntnissen wurde die K. immer im 3. Hauptstück, das vom Heiligen Geist sprach, genannt). Das innere ”Wesen“ der so als Geheimnis des Glaubens verstandenen K. wurde in der Theologie der Kirchenväter mit über das NT hinausgehenden Metaphern umschrieben, die sehr stark vom Gedanken der Rettung aus der verlorenen u. dem Untergang zugehenden Welt geprägt waren. Wenn der wirksame Heilswille Gottes in seiner Universalität berücksichtigt wurde, mußte das von Gott geschenkte Heil nicht auf die Kirchenmitglieder beschränkt werden. So war es z. B. möglich, von einer K. ”seit Abel“, also von Heilsmöglichkeiten von Anfang an, zu sprechen. Zugleich mit dieser immer lebendigen u. wachsenden Vertiefung in eine ”Innensicht“ der Kirche existierten die durch Streit u. Abweichungen in der Glaubensinterpretation entstehenden Probleme. Sie führten, verbunden mit organisatorischen Notwendigkeiten, zu einem verstärkten Ausbau der kirchlichen Ämter (Amt, Klerus) u. zu zugespitzen Formulierungen der ”wahren“ Kirche u. ihrer Heilsnotwendigkeit (Ketzertaufstreit, Extra Ecclesiam nulla salus , Donatismus). Bei Augustinus († 430) finden sich alle positiven Elemente dieser frühen Kirchentheologie, mit einer Betonung des Leib-Christi-Gedankens u. der Eucharistie als des Zentrums der kirchlichen Einheit, die aber durch seine Begrenzung der Heilsmöglichkeit auf einige wenige Auserwählte beeinträchtigt werden. Seine Unterscheidung von einer nur leiblichen Zugehörigkeit zur K. u. einer solchen dem Herzen nach, in der reformatorischen Theologie im Thema der ”sichtbaren“ u. der ”verborgenen“ K. weiterwirkend u. vom II. Vaticanum positiv aufgegriffen (LG 14 ), bewahrte ihn davor, K. u. Herrschaft Gottes zu identifizieren. Die Ekklesiologie des Mittelalters stand unter zwei Schwerpunktsetzungen, die bis heute Bestand haben: Auf der einen Seite wurde die ”Innensicht“ der K. theol. weiter vertieft, vor allem in den christologischen (Jesus Christus als Haupt) u. sakramententheol. Reflexionen der Scholastik, auf der anderen Seite geriet die Ekklesiologie im Zeichen der Befreiung der K. von der weltlichen Herrschaft (vor allem seit der Gregorianischen Reform des 11. Jh.) immer stärker unter die Herrschaft des Kirchenrechts (der ”Kanonistik“) u. seines streng hierarchischen, auf Gehorsam u. Unterwerfung bedachten Denkens. Innerkirchlicher Widerstand dagegen, der sich bis zum I. Vaticanum hinzog (vor allem in immer neuen Reformansätzen, Konziliarismus), wurde Zug um Zug gebrochen. Die seit dem Konzil von Konstantinopel 381 geläufigen vier Kennzeichen der K. Jesu Christi (Einheit, Heiligkeit, Katholizität u. Apostolizität der K.) wurden im Sinn einer juridischen, auf den Papst konzentrierten Ekklesiologie formuliert. Einen radikalen Ausdruck für die Heilsnotwendigkeit der sichtbaren K., unterstützt durch die Höllendrohung gegen alle Andersdenkenden, fand das Konzil von Florenz 1442. Nach der Reformation u. der Entstehung der ”konfessionellen“ Kirchen stand im röm.-kath. Bereich der institutionelle Aspekt der K. erst recht im Mittelpunkt. Einflußreich bis ins 20. Jh. war die Sicht der K. bei R. Bellarmin († 1621): Die K. ist eine sichtbare Gemeinschaft, so greifbar wie ”das Königreich Frankreich oder die Republik Venedig“, geeint durch die drei ”Bänder“ (”vincula“), nämlich Bekenntnis des wahren Glaubens, Teilhabe an den gleichen Sakramenten u. Unterstellung unter den rechtmäßigen Hirten, den Stellvertreter Christi auf Erden, den römischen Papst. Die auf die K. bezogenen Impulse der Aufklärung (Suche nach einer von der Vernunft erkannten Gemeinsamkeit über alle institutionellen Grenzen hinaus, Ablehnung jeder Fremdbestimmung) wurden im Bereich der röm.-kath. K. zunächst nicht wirksam; ein spätes Echo findet sich bei J. H. Newman († 1890) mit seiner Betonung der personalen Entscheidung (Gewissen, Glaubenssinn) vor jedem institutionellen Element. Die Überlegungen der Tübinger Schule zur K. als einem vom Heiligen Geist belebten Organismus führten zu der extremen, nicht rezipierten Auffassung von der Fortsetzung der ”Menschwerdung Gottes“ (Inkarnation) in der K. Die auf den Papst bezogenen Dogmen des I. Vaticanums sind insofern nicht ausschließlich auf die ”Außenseite“ der K. bezogen, als die Betonung der Unfehlbarkeit dem Schutz der Identität des Glaubens der K. von ihrem apostolischen Anfang an dienen soll. Aus den Erneuerungsbewegungen des 20. Jh. ging die Ekklesiologie des II. Vaticanums hervor, in den Texten freilich unvermittelt mit Elementen der auf den Papst konzentrierten ”hierarchologischen“ Ekklesiologie verbunden.
3. Zur gegenwärtigen Kirchenauffassung. In der K. ist die bleibende Gegenwart des gehörten, weiter verkündigten u. wirksamen Wortes Gottes in der Welt gegeben, so daß die K. durch dessen Eigentümlichkeit, von Gott her u. zugleich ganz menschlich zu sein, geprägt ist. Wenn die K. ”gleichsam“ als Sakrament bezeichnet wird, dann ist damit gesagt, daß die ”innere“ Gnade der Selbstmitteilung Gottes , deren Werkzeug sie ist, u. die ”äußere “ Gestalt der K. weder mit einander identifiziert noch von einander getrennt werden können. In dieser doppelten Sichtweise gründet die Geschichtlichkeit der K. ”In ihren Sakramenten u. Institutionen, die noch zu dieser Weltzeit gehören, trägt die pilgernde K. die Gestalt dieser Welt, die vergeht“ (II. Vaticanum LG 48 ). Diese Geschichtlichkeit der K. widerspricht ihrem verbindlichen Anspruch nicht, denn das Verbindliche ist jeweils nur in einer konkreten Erscheinung anzutreffen. Gegenüber dem immer drohenden Verfall wird die K. immer neu gehalten vom Heiligen Geist, der die abgeschlossene ”öffentliche“ Offenbarung Gottes immer neu geschichtlich enthüllt. Die K. ”ist zugleich heilig u. stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße u. Erneuerung“ (LG 8 ). Die K. lebt in drei Daseinsräumen, in der Innerlichkeit u. im lobpreisenden Bekenntnis des Glaubens u. der Gnade, in der Sichtbarkeit der Sakramente u. des Amtes in seinen geschichtlichen Ausprägungen u. in der umfassenden Praxis der Liebe, innerhalb der K. u. im Dienst am Frieden u. der Einheit der Welt. Die neuere Ekklesiologie u. Praktische Theologie haben sich angewöhnt, dementsprechend von drei Grundfunktionen der K. zu sprechen: Martyria, Leiturgia, Diakonia. Sie werden manchmal ergänzt durch die Koinonia; die Besinnung auf die grundlegende Gleichheit aller vor Gott u. in der K. hat zu der problematischen Verwendung des Begriffs Volk Gottes u. zu der nicht weniger problematischen Communio-Ekklesiologie des II. Vaticanums geführt. Die Betonung des Dienstes u. des Werkzeug-Charakters der K. haben dazu geführt, daß die Aburteilungen u. Verdammungen der Außenstehenden zurückgenommen sind; die Heilsnotwendigkeit der K. kann in ihrem Dienst an den Kirchen, Gemeinschaften u. Individuen gesehen werden, die ihr in unterschiedlicher (gestufter) Weise verbunden sind. Die theologischen Gründe der Trennung der nicht röm.-kath. Kirchen von ”Rom“ liegen bei der ”äußeren“, institutionellen Seite. Die ostkirchlich-orthodoxe Fundierung der K. im Heiligen Geist u. in der Eucharistie ist mit röm.-kath. Glauben ebenso vereinbar wie die reformatorische Auffassung der K. als Gemeinschaft der Gerechtfertigten, die ihr kirchliches Dasein u. ihre Heiligkeit aus demWort Gottes empfangen. Zu der jeweils unterschiedlichen Auffassung des Amtes treten freilich noch große Unterschiede in Mentalitäten, gelebter Spiritualität usw., so daß ein Wiederfinden institutioneller Einheit kaum denkbar ist; eine Ökumene der ”versöhnten Verschiedenheit“ wäre vereinbar mit der Aussage des II. Vaticanums, daß die K. Jesu Christi in jeder Ortsgemeinde verwirklicht ist (LG 26 ).
4. Kirche u.Welt. Nach dem II. Vaticanum ist die K. an kein politisches, wirtschaftliches oder gesellschaftliches System u. an keine bestimmte Kultur gebunden (GS 42 , 58 , 76 ). Sie erkennt Staaten u. Gesellschaften als autonome, von der K. unabhängige Größen an.Wenn sie für sich beansprucht, ”Zeichen u. Schutz der Transzendenz der menschlichen Person“ zu sein (GS 76 ) u. die sich aus Menschenwürde u. Menschenrechten ergebenden ethischen Normen auch in ihrer Geltung für das öffentliche u. staatliche Leben in Erinnerung zu rufen u. wenn sie dadurch auch das Gewissen ihrer eigenenMitglieder bindet, dann verstößt sie nicht gegen die Normen der Gewissensfreiheit u. Toleranz, weil sie damit nicht behauptet, für dasjenige, was in einer jeweiligen geschichtlichen Situation staatlich u. gesellschaftlich zu tun ist, positive u. konkrete Weisungen geben zu können (vgl. GS 42 : die K. hat keine Sendung in den politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Bereich). Die K. weiß sich verpflichtet, aktiv ”zu einer humaneren Gestaltung der Menschheitsfamilie“ beizutragen (GS 40 ); hinsichtlich des konkreten politischen Weges haben die Kirchenmitglieder berechtigteMeinungsverschiedenheiten (GS 43 , 75 ). Damit ist natürlich nicht die Freiheit gemeint, auf der Seite der allein Besitzenden, Unterdrücker u. Ausbeuter zu stehen (GS 63 –72 ). Die Aufgaben der K. in der Welt ergeben sich daraus, daß sie für andere, auch für Ungläubige existiert u. dadurch gegen Unrecht sein muß. Diese Aufgaben sind in einer ”globalisierten“ Welt unter dem Diktat der Unterhaltungsindustrie, der technischen Perfektionierung u. der immer größeren Chancenungleichheit der Menschen viel schwerer geworden als zur Zeit des II. Vaticanums. Die K. steht neu vor der Frage, ob sie sich mit der Hoffnung auf Gehör in dieser Medien- u. Wissenschaftswelt beteiligen oder sich zurückziehen soll.