Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Ideologie
   (griech. = Lehre von den Ideen), ein Ende des 18. Jh. eingeführter, zunächst positiv verwendeter Begriff für ein System von Theorien über die gesellschaftliche Wirklichkeit im ganzen, über Sinn u. Ziel des menschlichen Lebens u. über die individuelle u. kollektive Geltung ethischer Normen. I. als System besteht daher aus Beschreibungen u. analysierenden Erklärungen dieser Wirklichkeiten wie aus motivierenden Impulsen u. Forderungen. Schon zu Beginn des 19. Jh. wurde der Begriff I. negativ besetzt; er steht von da an eher für ”falsches Bewußtsein“, interessebedingte falsche Deutungen der Wirklichkeit, Leugnung ihrer Widersprüche usw. Die Ideologiekritik befaßt sich, allgemein gesprochen, mit der Beobachtung, daß aus einer falschen Interpretation der sozialen Wirklichkeit nicht zwangsläufig verkehrte Handlungsimpulse hervorgehen müssen u. umgekehrt, daß aus richtigen Gesellschaftsanalysen nicht notwendig richtige Motivationen für das individuelle u. kollektive Handeln hervorgehen (so im früheren Marxismus u. seinen Folgen). Der Positivismus wird insofern eine I., als er an die Stelle der von ideellen Motivationen u. Impulsen bestimmten Freiheitsentscheidungen die Behauptung stabiler Regeln u. Funktionen in gesellschaftlichen Organisationen setzt, die es lediglich zu erforschen gilt (sog. Sachzwänge).Wo Religion als Ausdruck eines falschen Bewußtseins der gesellschaftlichen Verhältnisse u. als Begründung der Stabilisierung solcher Verhältnisse angesehen wird, da wird die Ideologiekritik zur Religionskritik. In der Gegenwart gehen die Tendenzen dahin, die Suche nach der Richtigkeit der Wirklichkeitserkenntnisse als dialogischen Prozeß unter größtmöglicher Wahrung des Pluralismus in Erkenntnis u. Zielsetzung zu verstehen. Diese Tendenzen gelten auch für die soziale Wirklichkeit der Kirche.
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