Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Hinduismus
   abgeleitet von geographischen u. ethnischen Namen, bezeichnet Lebens- u. Sozialordnungen von überzeitlicher u. kosmischer Herkunft, nicht eine Religion im institutionellen Sinn, wird seit dem 19. Jh. als Sammelbegriff für in Indien entstandene Religionen verwendet. Im H. sind vielfältige religiöse Auffassungen möglich, auch eine polytheistisch erscheinende Volksreligion. Nach allgemeinem Glauben waltet eine ewige Ordnung über den ethischen u. geistigen Bereichen wie über dem Weltgeschehen; als ”karman“ macht sie die Menschen für ihr Schicksal verantwortlich (Reinkarnation). Alle disparaten Einzelheiten der Wirklichkeit gehen auf einen Urgrund oder einen personalen Grund zurück; sie sind jeweils Erscheinungsformen dieser Einheit. Das Selbst des Menschen (”atman“) u. der Grund der Welt (”brahman“) treten nicht dualistisch auseinander. Der Urgrund bzw. Gott können in allen Dingen verehrt werden. Der H. ist ferner allgemein durch den Wunsch charakterisiert, den (geheimnisvollen) Geist direkt zu erfahren (psychische Konzentrationen, Hingabe an Gott, Bewußtseinserweiterung, Yoga, d. h. körperliche u. bewußtseinsmäßige Übungen). – Die genauer faßbare Zeit der Ausgestaltung des H. beginnt mit der ”vedischen“ Epoche (1500–500 v.Chr.): Neben dem Hauptgott Indra stehen kosmische Gottheiten; 4 Veden (heilige Schriften mit Hymnen an göttliche Mächte); Opferrituale, die der höchsten Kaste, den Brahmanen, anvertraut sind; später die Upanischaden mit dem Thema der Erfahrung des Einen, der Einheit. Eine große Rolle spielt von Anfang an die Einübung der Entsagung, ohne die Erlösung nicht erlangt werden kann. In der klassischen Epoche (etwa 700 n.Chr. bis zum 18. Jh.) werden Götter- u. Schöpfungsmythen ausgestaltet, den Göttern (Shiwa als mehrdeutig mächtigem Gott, Wishnu mit seiner Abfolge von Inkarnationen, daneben u. a. der Göttin Diwa) gelten theol. Abhandlungen, der Opferkult wird durch sublimere Rituale, u. a. zur Teilhabe an der einenden Kraft der großen Mutter, abgelöst. Bedeutungsvoll ist die theoretische Rechtfertigung des Kastensystems, das durch die ewige Ordnung des ”dharma“ für alle Zeiten garantiert ist u. den Brahmanen die höchste Stellung als priesterlichen Mittlern u. als Lehrern der Tradition zuschreibt. Eine Philosophie entstand im H. durch die Konfrontation mit Buddhismus u. Islam. Seit dem 18. Jh. läßt sich von einer bis heute anhaltenden Renaissance des H., mit bedeutenden Gestalten wie Ramakrishna († 1886) u. M. Gandhi († 1948), sprechen. Teilelemente der hinduistischen Mystik u. Trainingsmethoden finden im Westen große Aufmerksamkeit (christliche Aschrams = religiöse Wohneinheiten; christliches Yoga). – Über den H. urteilte das II. Vaticanum: ”Im Zusammenhang mit dem Fortschreiten der Kultur suchen die Religionen mit genaueren Begriffen u. in einer mehr durchgebildeten Sprache Antwort auf die gleichen Fragen. So erforschen im Hinduismus die Menschen das göttliche Geheimnis u. bringen es in einem unerschöpflichen Reichtum von Mythen u. in tiefdringenden philosophischen Versuchen zum Ausdruck u. suchen durch aszetische Lebensformen oder tiefe Meditation oder liebend-vertrauende Zuflucht zu Gott Befreiung von der Enge u. Beschränktheit unserer Lage“ (NA 2 ).
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