Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Herrschaft Gottes
   auch Reich Gottes, Königtum oder Königsherrschaft Gottes (hebr. oft ”malkut JHWH“, griech. ”basileia“), ein zentraler Begriff der Bibeltheologie.   1. Biblische Aussagen. Auch ohne die relativ späte Verwendung des Begriffs H. G. prägt die Überzeugung von der H. G. den Glauben Israels von Anfang an. Sie äußert sich in der Erwählung, im schützenden Geleit, in der Rettung u. Verteidigung des Volkes durch Gott. Sie führt, auf die ganze Schöpfung u. das ”Weltregiment“ bezogen, zur Überzeugung von der Geltung des Monotheismus; sie prägt die Gottesverehrung im Kult, am Sabbat u. an den Jahresfesten mit dem Bekenntnis ”Gott ist König“, gegenwärtig, immer u. ewig. Die Prophetie erwartet die endzeitliche Offenbarung der über alles Widergöttliche siegreichen H. G. in einem universalen Friedensreich (Jes 11, 1–9 u. ö.; vgl. auch die apokalyptische Version Dan 2, 31–45; 7, 2–8). Die Ankündigung der endzeitlichen H. G. ist der Inbegriff der Verkündigung Jesu. Das Errichten bzw. Offenbaren seiner Herrschaft kommt Gott allein zu (Mk 4, 26–29; Lk 17, 21); die Glaubenden sollen um ihr Kommen beten (Lk 11, 2 par.). In Jesus ist sie nahegekommen (Mk 1, 15; Lk 10, 9 par.); seine Sendung mit dem Angebot der H. G. gilt zunächst Israel (Mt 10, 5 f.). Sie wird den ”Armen “ geschenkt, die deshalb seliggepriesen werden (Lk 6, 20 par.). Die Gleichniserzählungen verdeutlichen die völlige Andersartigkeit der H. G. u. ihrer Wertordnung gegenüber allen irdischen Herrschaftsstrukturen, aber auch die Möglichkeiten, sie hier u. jetzt (”punktuell-situativ“) schon zu verwirklichen. Obwohl Jesus das Ziel seiner Verkündigung, die Annahme der Botschaft von der H. G. in der Zeit seines Lebens, nicht erreichte, hielt er auch im Vorausblick auf seinen Tod an der Erwartung der H. G. fest (Mk 14, 25 par.). Die nachösterliche Glaubensgemeinschaft stand zunächst ganz im Zeichen einer Naherwartung der H. G.; sie führte, wie vor allem Lk u. Apg bezeugen, die Verkündigung der H. G., motiviert durch die Erfahrungen der Auferweckung Jesu, weiter. Als Bedingungen für das ”Hineingelangen“ in die H. G. werden das Bekenntnis zu Jesus u. das Tun der größeren Gerechtigkeit genannt. Aus Ehrfurcht vor dem Gottesnamen umschreibt Mt den Begriff der H. G. mit ”Himmelreich“, ohne damit die Erwartung der H. G. in ein Jenseits zu verlagern. Das Thema der H. G. hat im Rahmen des ganzen NT nur in den synoptischen Evangelien diese große Bedeutung. Das verschiedentlich genannte ”Reich Christi“ ist mit der H. G. nicht identisch. Ebenso wenig gibt es im NT Anhaltspunkte, die Kirche mit dem ”Reich Gottes“ gleichzusetzen; die Kirche hat die Verkündigung der H. G. fortzuführen, die Möglichkeiten, die konkrete Praxis der H. G. auch in kleinen u. kleinsten Verhältnissen auszuüben, darzustellen u. die Hoffnung auf die Erscheinung der bleibenden universalen H. G. lebendig zu erhalten (Offb 20 f.; 1 Kor 15).
   2. Zur Theologiegeschichte. Gegenüber der ”diesseitigen“, schöpfungsbejahenden Auffassung der H. G. bei Jesus wurde u. wird das Thema in der Theologiegeschichte gravierend verändert, u. zwar in dreifacher Hinsicht: Christologisch wird gesagt, Jesus Christus in Person sei das Reich Gottes; ekklesiologisch wird die Kirche als Reich Gottes oder wenigstens als Reich Gottes auf Erden bezeichnet; eschatologisch wird die Verwirklichung der H. G. weltjenseitig im Himmel gesehen. Augustinus († 430) meint in seiner Darstellung des Kampfes zwischen dem Reich des Guten u. dem des Bösen mit dem Reich des Guten nicht die biblisch angesagte H. G., sondern die in der Kirche verwirklichte Herrschaft Christi. Die ekklesiologisch verengte Sicht begegnet bei mittelalterlichen Päpsten, während die eschatologische Konzeption bei Joachim von Fiore († 1202) u. Thomas von Aquin († 1274) zur Geltung kommt, bei Thomas jedoch mit dem Gedanken einer spirituell-innerlichen Gegenwart der H. G. (in Gerechtigkeit, Friede u. Freude der Glaubenden). Ebenso innerlich ist die Konzeption der H. G. in M. Luthers († 1546) Zwei-Reiche -Lehre . J. Calvin († 1564) vertrat dagegen die Möglichkeit, die H. G. als Gegenentwurf zu den weltlichen Gesellschaften irdisch durchzusetzen. In der Neuzeit lebte der Gedanke von der H. G. im Hinblick auf das Programm, sittliche Ideale hier u. jetzt zu verwirklichen (von I. Kant † 1804 bis zur ev. Liberalen Theologie ), u. im Hinblick auf die Durchsetzung der Vernunft im Weltprozeß (G. W. F. Hegel † 1831) weiter. Versuche der Erneuerung der kath. Theologie im 19. Jh. führten zu einer Wiederbelebung des Themas von der H. G. im Zeichen der Versöhnung des Christentums mit der neuzeitlichen Kultur. Während in der übrigen kath. Theologie von der Gegenreformation bis zur Neuscholastik einschließlich die röm.-kath. Kirche in ihrer konkreten hierarchischen Erscheinungsform als das Reich Gottes galt, kehrte das II. Vaticanum zu den Perspektiven der H. G. im NT zurück. In beiden kirchlichen Theologien wirkt die konkret diesseitig orientierte H.-G.-Thematik des NT mit ihrer hoffnungsstiftenden Kraft in der Politischen Theologie u. in der Befreiungstheologie weiter, ohne daß die allein Gott zukommende universale Vollendung seiner Herrschaft menschlichen u. kirchlichen Kräften zugeschrieben würde.
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