Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Hellenismus
   (griech. = Griechentum) ist kein antiker, sondern ein erst 1836 eingeführter, allerdings weitgehend üblich gewordener Begriff, der zunächst eine Epoche meint, die im 4. Jh. v.Chr. begann u. spätestens mit der Ausbreitung des Islam im 7. Jh. n.Chr. endete. Sie war gekennzeichnet durch Verbreitung der griech. Sprache u. Kultur weit über das klassische Griechenland hinaus. Sehr differenzierte Forschungen befassen sich mit den Prozessen der Begegnung u. Verschmelzung griech. Mentalität mit den Daseinsdeutungen u. Gestaltungen anderer Kulturen. Von nachhaltiger Bedeutung war u. bleibt die Begegnung des H. mit dem Judentum (wobei hier nicht das tragische Geschick Israels unter hellenistischer Fremdherrschaft gemeint ist). Vor allem in Alexandrien versuchte das Diasporajudentum, ohne Verfälschung der Glaubenssubstanz die biblischen Aussagen in griechische Begrifflichkeit zu übersetzen u. das Gespräch mit der hellenistischen Philosophie aufzunehmen. Herausragende Zeugnisse dafür sind die Übersetzungsleistung der LXX u. die hellenistisch-allegorische Bibelauslegung Philons († um 50 n.Chr.). Für das Christentum ist zunächst einmal unbestritten, daß seine Vermittlung in den ganzen mittelmeerischen Raum einschließlich Kleinasiens u. seine schriftliche Überlieferung ohne die griech. Sprache (”Koine“ = die Allgemeine) nicht möglich gewesen wären. Über die Einflüsse hellenistischer Denkformen u. Schriften auf das NT ist eine umfangreiche Diskussion im Gang (ein Konsens besteht jedenfalls hinsichtlich des Einflusses der hellenistischen Ethik vor allem auf die christlichen Tugendauffassungen). Eine weitere, ebenfalls unabgeschlossene Diskussion erstreckt sich auf die Prägung u. eventuelle Entstellung des ”authentischen“ Christentums durch den H. Anfänge eines Unbehagens auf christlicher Seite finden sich bereits Ende des 2. Jh. (Tertullian † um 220: ”Was hat Athen mit Jerusalem zu schaffen?“); es lebte u. a. zur Zeit des Humanismus u. der Reformation wieder auf. In der Neuzeit fand der Platonismus der Kirchenväter (Mittelplatonismus, Neuplatonismus) Aufmerksamkeit; mit der Kritik an der Scholastik u. ihrer Metaphysik ging oft die Kritik am Aristotelismus Hand in Hand. Eine neue Qualität erreichten die Diskussionen durch A. von Harnack († 1930). Er betrachtete das kirchliche Dogma insgesamt (die altkirchlichen Dogmen) als zwar notwendiges ”Werk des griechischen Geistes auf dem Boden des Evangeliums“, erhob aber die programmatische Forderung, das Wesentliche des Christentums von der hellenistischen Philosophie zu befreien, um es in den Kategorien einer modernen Philosophie zum Ausdruck zu bringen. Eine Voraussetzung Harnacks ist heute allgemein nicht rezipiert, nämlich daß es je ein reines, authentisches Christentum u. so auch sein ”überzeitliches“ Wesen gegeben habe, da Übereinstimmung darin besteht, daß sich das Christentum als synkretistisches Phänomen dargestellt (Synkretismus) . Von größter Aktualität ist dagegen die Frage nach der jeweiligen Inkulturation “ des Christentums, zumal in einer polyzentristischpluralen Welt.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Hellenismus