Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Heilsgeschichte
   ein im 19. Jh. entstandener, viel diskutierter Begriff, der besagt, daß Gott mit seinem universalen Heilswillen die Geschichte der ganzenMenschheit umfaßt, einem jeden Menschen in ihr sein Heil angeboten hat u. anbietet u. daß faktisch seine Gnade u. seine Rechtfertigung in der Menschheit geschichtlich konkret realisiert wurden. H. bedeutet sodann die Geschichte dieser Konkretisierungen der Heilserfahrungen innerhalb der Menschheitsgeschichte. Vertreter einer strengen Christozentrik haben zudem geltend gemacht, daß der Begriff H. auch besage, daß die vor- u. außerchristlichen Heilserfahrungen auf die Heilszeit in Jesus Christus hingegeordnet sind. Voraussetzung für diesen Begriff H. ist somit, daß die Menschen nicht nur innerhalb ihrer Geschichte auf Gottes Gnade hoffen u. sie, von Gott dazu befähigt, auch annehmen u. in sich wirksam werden lassen können, sondern daß die Gnade selber geschichtlich u. die Geschichte in einer bestimmten Hinsicht, aber in ihrer ganzen Konkretheit selber Gnade ist. In einem engeren Sinn bezeichnet der Begriff H. die Geschichte jener Heilserfahrungen u. -konkretionen, die sich innerhalb der allgemeinen H. von dieser in der Reflexion unterscheidend abheben lassen. Analog zu dem Begriff einer ”amtlichen“ Offenbarung kann man diese eigens bezeugte H. auch amtliche, spezielle oder besondere H. nennen.   1. Biblisch. Der Beginn dieser besonderen H. wird in der Befreiungserfahrung des Exodus gesehen. Die theol. Reflexion Israels erbrachte die Einsicht, daß diese besondere H. aus der allgemeinen H. hervorgegangen ist (ohne diese aufzuheben); der Glaube Israels läßt die allgemeine, von der unerschütterlichen Treue Gottes gekennzeichnete H. mit der Erschaffung der Welt u. der Menschen beginnen. Der Glaube Israels ist davon überzeugt, daß Gott allen gegenteiligen Vorkommnissen zum Trotz die Geschichte in der Hand behält u. seinen Heils- u. Vergebungswillen wirksam werden läßt. Die Erinnerungen an die Machttaten Gottes in der Vergangenheit werden allerdings immer stärker durch Verheißungen ergänzt. Diese Geschichtsauffassung ist u. bleibt diejenige des NT , das jedoch die Perspektiven unterschiedlich zeichnet. In apokalyptischer Sprache werden das Kommen u. Wirken Jesu als eschatologische Erfüllung der Verheißungen am ”Ende der Zeit“ (als die Zeit ”erfüllt“ war) gesehen. Sein Auftreten gilt im lukanischen Doppelwerk als ”Mitte der Zeit“ (H. Conzelmann †1989). Viele Schriften des NT befassen sich mit noch nicht erfüllten Verheißungen u. mit der noch ausstehenden Vollendung des Heils, während das johanneische Schrifttum das Ewige Leben im Jetzt beginnen läßt. Die Ekklesiologie des NT reflektiert die Aufgabe der Kirche in der weitergehenden H. Die Bedeutung von Glaubensabfall u. Sünde wird im NT unterschiedlich akzentuiert, doch bleibt es bis einschließlich der Offb die feste Glaubensüberzeugung, daß Gott die Menschheitsgeschichte in Liebe u. Vergebung zum vollendenden Ende führen wird.
   2. Theologiegeschichtlich-systematisch. Mit dem Eintritt des Christentums in die ”große Weltgeschichte“, in der es sich in zunehmendem Maß nicht (wie das Judentum) als bloßes Objekt politischer Mächte erfuhr, wurden der theol. ”Wert“ der weltgeschichtlichen Ereignisse u. Institutionen u. das Verhältnis der H. zur Weltgeschichte diskutiert (Geschichtstheologie). Im Zusammenhang mit dem Versuch, die Geschichte zu periodisieren, kam es zu der Auffassung von dem erschöpften Kosmos u. der zu Ende gehenden Geschichte. Der Gedanke, daß die weltliche Macht eine positive heilsgeschichtliche Funktion habe, verschwand jedoch nie ganz, er lebte neu auf, als das Papsttum des 11. Jh. diese Macht für sich beanspruchte. Für die mittelalterliche Theologie war die Zentrierung der H. im Heilsereignis Jesus Christus selbstverständlich. Ein eigenes Interesse richtete sich auf die im Evangelium erwähnten Anzeichen des Endes der Welt u. ihrer Geschichte (zuweilen verbunden mit dem Chiliasmus oder mit der Erwartung des Antichrist). Die Überzeugung, daß Gott die Weltgeschichte durch Vorsehung u. gezieltes Eingreifen lenkt u. mitten in ihr u. teilweise durch ihre weltlichen Ereignisse die H. planvoll verwirklicht, hielt sich bis ins 19. u. 20. Jh. durch u. führte zu viel diskutierten heilsgeschichtlichen Darstellungen (K. Barth †1968, O. Cullmann † 1999 u. a.). Diese kamen bei aller Verschiedenheit darin überein, daß sie zwischen H. u. Profangeschichte als zwei parallel (”koextensiv“) verlaufenden, dem Wesen nach strikt geschiedenen Wirklichkeiten unterschieden. Die Kritik an diesen Darstellungen bezog sich darauf, daß in der Sicht des Glaubens eine wesentliche Scheidung von Sakral und profan nicht möglich ist, weil sie der Selbstmitteilung Gottes an die ganze geschaffene Wirklichkeit u. der Annahme der weltlichen Wirklichkeit durch Gott widersprechen würde. Außerdem haben die Theorien der gezielten punktförmigen Eingriffe Gottes in den Geschichtsablauf die von Gott gewollte u. bewirkte Einsetzung der Menschen in ihre Freiheit u. Autonomie als positive Geschichtsfaktoren minimalisiert (oft fast nur unter dem Gesichtspunkt der Sünde gesehen). Schließlich mußte die Theologie einsehen, daß ihr eine Entschlüsselung des Heilsplans angesichts des unbegreiflichen Geheimnisses Gottes u. der nicht beantwortbaren Theodizee-Frage nicht möglich ist. Die von Menschen herbeigeführten Katastrophen u. ausgeübten Verbrechen können nicht als Gerichtsinszenierungen Gottes ausgegeben werden. Es ist der erneuerten Christologie auch nicht gelungen, die Zäsur der H. im Ereignis Jesu Christi, seine universale (universalgeschichtliche) u. kosmische Bedeutung überzeugend herauszuarbeiten. Der versuchsweise eingeführte Begriff eines vorweggenommenen Endes der Geschichte bei weitergehender Geschichte (Antizipation) erwies sich als unbrauchbar (widersprüchlich). So ist eine fundamentale Krise der Theologie der H. nicht zu übersehen.
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