Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Heiliger Geist
   Zu den Begriffen u. biblischen Zeugnissen: Pneuma, Paraklet, Geist.   1. Zur Theologiegeschichte. Das Interesse des theol. Nachdenkens wandte sich in den ersten Jahrhunderten dem H. G. weniger zu, wenn auch die biblischen Texte in Verkündigung u. Meditation breiten Raum einnahmen. In der Abweisung des Patripassianismus u. Sabellianismus wurde der H. G. eher beiläufig mitgenannt. Im Gefolge der Auseinandersetzung des 4. Jh. mit dem Arianismus konzentrierte sich die Diskussion mit den Makedonianern thematisch auf den H. G., wobei Athanasius († 373) u. die Kappadokier auf der Seite der Großkirche die führende Rolle spielten. Unter arianischem Einfluß entstand die These, der H. G. sei ein Geschöpf Gottes, eine geschaffene Kraft. Um dem Spott zu entgehen, wenn Jesus entsprechend dem Konzil von Nikaia wesenseins mit Gott sei u. der H. G. ebenso, dann seien Jesus u. der H. G. Brüder, verwendete das Konzil von Konstantinopel 381 den Begriff Homoousios für den H. G. nicht, sondern es teilte ihm göttliche Attribute zu (Kyrios, Lebendigmacher), bekannte sich zu seinem Ausgang vom göttlichen Vater, u. stellte die Anbetung u. Verherrlichung des H. G. zusammen mit Vater u. Sohn fest. In der Folge gelangte die theol. Redeweise von dem einen göttlichen Wesen (griech. ”ousia“, lat. ”substantia“) in drei Hypostasen, unter ihnen der H. G., zu offizieller Geltung. Die Theologie bemühte sich fortan, die genauere Eigentümlichkeit des ”Hervorgangs“ des H. G., gerade auch in seinem Unterschied zum ”Hervorgang“ des göttlichen Logos, näher zu ergründen, wobei verschiedene philosophische Begriffe u. Metaphern verwendet wurden. Augustinus († 430) verstand in seiner einflußreichen Trinitätstheologie den H. G. als ”Band der Liebe“ zwischen Vater u. Sohn. In seiner Lehre von der Einwohnung Gottes im Menschen konnte er an biblische Texte (Röm 5, 5; Schekhina) anknüpfen. Auf einen leidvollen Weg der Entfremdung von Ost- u. Westkirche führte die Einfügung des Filioque in das Glaubensbekenntnis der Westkirche. Die scholastische u. reformatorische Theologie befaßten sich mit dem H. G. vor allem in den Lehrstücken über die Gnade Gottes u. über die Sakramente. Auf einen ”personalistischen“ Weg, der dem H. G. ein Eigensein im Sinn des neuzeitlichen Verständnisses von Person zuschreibt u. damit die Einheit u. ”Einfachheit“ Gottes auflöst, führte die Spekulation des schottischen Augustiners Richard von St. Victor in Paris († 1173), der den H. G. als ”gemeinsam Geliebten“ des ”liebenden“ Vaters u. des ”geliebten“ Sohnes bezeichnete. Die ostkirchlich-orthodoxe Theologie wandte sich dem H. G. in zwei Phasen zu. In der ersten bis zum 14. Jh. galt ihre besondere Aufmerksamkeit dem Wirken des H. G. in der Gnade, das sie als Vergöttlichung desMenschen thematisierte. In der darauf folgenden zweiten Phase entstand die spezifisch ostkirchliche ”pneumatologische Ekklesiologie“ mit einer besonderen Schwerpunktsetzung bei der Epiklese in dem kirchenkonstitutierenden Sakrament der Eucharistie. Neuere ostkirchliche Theologen möchten die ganze Theologie ”pneumatologisch“ geprägt sehen. Im II. Vaticanum wiesen die orthodoxen Gäste auf das ”pneumatologische Defizit“ der lat. Theologie u. Kirche hin, so daß das Konzil den H. G., seine Gaben u. Wirkungen, gerade auch in der Heiligung u. in der Vermittlung des Glaubenssinns sowie seine Gegenwart in den konfessionell getrennten Kirchen relativ häufig erwähnte.
   2. Systematisch. Eher als in den Spekulationen über innergöttlichen Ausgang, ”Hauchung“ usw. kann der H. G. im Glauben erfaßt werden in seinen Wirkungen u. in den von ihm geschenkten Erfahrungen. Theologisch lassen sie sich von der Selbstmitteilung Gottes her in Worte fassen, wenn auch nicht begreifen: Im geschichtlichen Verhältnis Gottes zur Welt offenbaren sich zwei Grundweisen der göttlichen Selbstmitteilung, als Wahrheit, die sich geschichtlich ereignet u. den Menschen zukommt als Angebot göttlicher Zuneigung u. Treue, u. als Liebe, die sich nicht nur schenkt, sondern die auch die Annahme ihrer selbst bewirkt u. – wenn menschliche Freiheit das nicht verhindert – die Transzendenz des Menschen auf Gott als absolute u. vollendende Zukunft des Menschen hin öffnet. Wenn Gott sich so aus sich selber heraus-”wagt“, nicht um zu sich selber zu kommen, um sich zu ”verwirklichen“, sondern um sich dem andern zu ”geben“ (was bedeutet, daß Gott so groß ist, daß er frei am andern ”kleiner“ wird), dann ist das Liebe. Das ist Gott als ”Heiliger Geist“. Dieser H. G. ist schöpferisch u. lebendigmachend, er ist der weltimmanente Gott, der wahrhaft Neues entstehen läßt (Selbsttranszendenz) . Er ist der Geist der Gnade, das innere Beten u. Rufen, der Trost, Impulsgeber, Heiligung, das Bewußtsein, in der Freiheit der Kinder Gottes (Röm 8, 21) zu existieren. Er ist der Geist als Gegner der Welt im negativen Sinn, der Sünde, der Apathie, der Egozentrik, der Geltungssucht. Der Geist ist die Kraft der Verwandlung, die über den Tod hinausdrängt zur Auferstehung u. zur Vollendung der Schöpfung. Er ist der Geist, der Menschen sucht u. in den Dienst für andere beruft, der durch menschliches Mit- u. Füreinander die Menschen auf Gott hin öffnen u. ihnen die Einheit von Gottes- u. Menschenliebe erschließen will, u. so ist er der Geist der Kirche, in der er in immer neuen Impulsen u. Aufbrüchen, aber auch im Amt lebt. Da er ”weht, wo er will“ (Joh , 8), ist er in der Menschheit von Anfang an gegenwärtig u. am Wirken, nicht nur in der Zeit u. in den Grenzen der Kirche. – Die neuere Pneumatologie auf kath. u. teilweise auch auf ev. Seite ist großteils geprägt durch die Konstrukte einer ”Personenkommunität “ in Gott. Ferner sind Vorbehalte gegen das Verständnis des Geistes überhaupt als Bewußtsein zu konstatieren, das gegen das Verständnis des Geistes als Leben ausgespielt wird. Beide Einseitigkeiten sind eher dazu angetan, ein bewußtes Bejahen des göttlichen Geistes als das ”Bei-uns-Sein“ des einen Gottes, des inneren Du-Partners des Menschen, zu behindern als zu fördern. Das innere Bei-uns-Sein Gottes bedeutet eine werbende Stimme, einen Appell an das Gewissen, nicht aber geschichtsmächtiges Eingreifen. Das ist bei der Rede vom H. G. nach ”Auschwitz“ stets mit zu bedenken.
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