Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Heiligenverehrung
   In vielen Religionen werden lebende u. vor allem verstorbene Menschen verehrt, ihr Vorbildcharakter wird hervorgehoben, die Stätten ihres Lebens u. ihre Gräber sind Ziele von Wallfahrten, ihre Reliquien u. Bilder stehen in hohem Ansehen. Schon der Anblick u. erst recht der körperliche Kontakt mit lebenden Wundermenschen (”vir Dei“) versprechen Segen, von den verstorbenen Heiligen erhoffen sich Menschen Schutz u. Wunder. Alle diese Eigentümlichkeiten prägen auch die H. im Christentum, vor allem in der röm.-kath. Kirche u. in den orthodoxen Ostkirchen. Das erste Zeugnis der christlichen H. betrifft den Märtyrer Polykarp († um 156). Zu denen, die um des Glaubens willen das Martyrium auf sich genommen haben (vgl. deren Hervorhebung in der Offb), werden kurze Zeit danach die ”Bekenner“ gesellt, die um des Glaubens willen gefoltert wurden. Im 4. Jh. wird die Verehrung von Asketen u. von Soldatenheiligen bezeugt. Von da an werden die kirchlich verehrten Heiligen nach Gruppen u. Typen zusammengefaßt. Die Idee einer Fürsprache der bei Gott Vollendeten scheint durch Origenes († 253) von dem jüdischhellenistischen Philosophen Philon († 50 n.Chr.) übernommen worden zu sein. Sie spielt in der Marienverehrung (Hyperdulie) von Anfang an eine bedeutende Rolle. In theol. Sicht ist die H. Ausdruck des Glaubens an die Rettung aus dem Tod u. an die Solidarität, die sich die Glieder der Kirche untereinander mit Hilfe der Gnade Gottes erweisen, auch indem sie ihnen Möglichkeiten u. Wege des Glaubens (”vorbildlich“) aufweisen. Die Vorstellung, bei Gott vollendeteMenschen könnten neue, von ihrem irdischen Leben unabhängige Initiativen entfalten, ist zumindest problematisch. Die Meinung, Heilige könnten Gott oder Jesus Christus in ihrem Zorn umstimmen u. von strengen Strafgerichten abhalten, ist Aberglaube. Die Initiativen zur H. gingen durch Jhh. vom ”gläubigen Volk“ aus, dem die von ihm verehrten Menschen natürlich vertraut waren. Die Praxis der Heiligsprechungen u. ihnen vorausgehend der Seligsprechungen in der röm.-kath. Kirche beruht auf dem Anspruch des Papstes, nach einem ”Kanonisationsprozeß “ ein Urteil über das geglückte Leben von Dienern u. Dienerinnen Gottes abgeben zu können (besondere Christusnachfolge, heroische Tugenden). Die erste Heiligsprechung durch einen Papst erfolgte 993. Seit 1588 sind die Selig- u. Heiligsprechungen dem Papst vorbehalten; im letzten Viertel des 20. Jh. nahmen sie gewaltige Ausmaße an. Da die Mehrzahl der proklamierten Heiligen der Mehrzahl der Christen unbekannt ist, bleibt das Verfahren weitgehend wirkungslos. In den orthodoxen Ostkirchen wird eine bestehende H. durch Synodenbeschluß anerkannt. Wegen der Ideen der Gnadenvermittlung u. der Fürsprache durch die Heiligen im Himmel lehnten die Reformatoren die H. u. vor allem auch Eucharistiefeiern ”zu Ehren“ von Heiligen ab, erkannten aber das ehrende Gedächtnis der Heiligen, ihre Beispielhaftigkeit u. den Dank an die Gnade Gottes für das Geschenk der Heiligen an. Kath. Christen genießen in der Praxis eine große Freiheit im Hinblick auf ihre H.
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