Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Heilige Schrift
In vielen Religionen existieren ”heilige Schriften“, die für die Glaubensgemeinschaft konstitutive Bedeutung haben, auf göttlichen Ursprung zurückgeführt werden, im Textbestand unantastbar sind u. für die Lebensgestaltung der Glaubenden grundlegend sind. Die Bezeichnung H. Sch. im Christentum geht auf Röm 1, 2 (dort auf das AT bezogen) zurück. 1. Zu einer Theologie der H. Sch. Die Offenbarung Gottes ist geschichtlich u. bedarf daher der weiteren Überlieferung; sie ist ein Wortgeschehen; sie ist ein sozial-kommunikativer Vorgang; sie wird von der Glaubensgemeinschaft Kirche als ”eschatologisch“ verstanden, das heißt als nicht mehr durch eine neue Offenbarung überholbar u. ersetzbar. Historisch gesehen ist es von Bedeutung, daß diese Offenbarung in eine Menschheit mit Schriftkultur hinein erging. In theol. Sicht ist die H. Sch. des Christentums die schriftliche Objektivation der ursprünglichen Offenbarungsbotschaft, des apostolischen Kerygmas, die unter dem besonderen urheberischen Einfluß des Heiligen Geistes erfolgte, die so Quelle u. Norm für die weitere Bezeugung dieser Offenbarung wird.
2. Positive Daten: Altes Testament , Neues Testament .
3. Göttliche Urheberschaft: Inspiration.
4. Abgrenzung der H. Sch. von anderen, nicht normativen schriftlichen Objektivationen des Glaubens der frühen Kirche: Kanon.
5. ”Irrtumslosigkeit“ der H. Sch. Das II. Vaticanum berücksichtigte die bibelwissenschaftliche Erkenntnis, daß in der H. Sch. Unrichtigkeiten enthalten sind. Es unterschied zwischen Gott als dem ”Urheber“ der H. Sch. u. den Menschen als deren ”echten Verfassern“. Es vermied den Begriff ”Irrtumslosigkeit“ u. lehrte statt dessen, daß die Bücher der H. Sch. ”sicher, getreu u. ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte“ (DV 11 ). Bei Verdacht auf Irrtümer ist zu untersuchen, was die Absicht einer Aussage u. deren Grenzen sind, unter genauer Berücksichtigung der literarischen Gattung (DV 12 ). Der ”Sitz im Leben“ einer Aussage ist zu berücksichtigen. Die unvermeidlichen ”Randunschärfen“ jeder menschlichen Aussage sind mit zu bedenken. Aussageinhalt u. -absicht sind zu unterscheiden von bloßer Berichterstattung über gängige Meinungen (auch im Hinblick auf Schriftzitate innerhalb der H. Sch.). Perspektivitäten u. Mentalitäten (z. B. des Apostels Paulus als eines Konvertiten) sind zu beachten. Zu bedenken bleibt, daß vieles an Text u. Inhalt der H. Sch. noch dunkel ist u. möglicherweise für immer dunkel bleiben wird. Die Bibelwissenschaft hat das Recht, Textaussagen, die nicht unmittelbar eine Heilswirklichkeit betreffen, nach den Maßstäben der heutigen Kriterien für Wahrheit u. Richtigkeit zu beurteilen.
6. Zur Interpretation der H. Sch.: Bibelwissenschaften, Hermeneutik, Schriftsinne.
7. H. Sch. u. kirchliches Lehramt. Wenn die H. Sch. als Objektivation des Wortes Gottes gilt u. als solche immer nur im lebendigen Zeugnis der verkündigenden (u. damit auch lehrenden) Kirche erkannt werden kann, u. wenn Verkündigung (u. damit auch Lehre) der Urkirche legitim weitergeführt werden, dann ergeben sich daraus ein innerer Zusammenhang von H. Sch. u. kirchlichem Lehramt u. die Legitimität der lehramtlichen Schriftinterpretation. Damit stehen Kirche u. Lehramt nicht über der H. Sch., wohl aber über deren individueller Auslegung. Zur Kirche in ihrem nicht-menschlichen Ursprung gehört als ein inneres Moment die H. Sch. Die Treue zu diesem Ursprung ist durch den Heiligen Geist garantiert u. ist damit immer auch Treue zur H. Sch. Weil das Lehramt nur bezeugen u. weitergeben kann, was im apostolischen Kerygma der Urkirche als geoffenbart bezeugt ist, u. weil dieses Kerygma in der H. Sch. rein u. unverfälscht objektiviert ist, bleibt die H. Sch. verpflichtende Quelle u. Norm für das Lehramt (DV 10 ).
8. H. Sch. u. Tradition. Die Weitergabe des apostolischen Kerygmas als autoritative, aktuelle Lehrverkündigung eines Inhalts als eines apostolisch geoffenbarten Inhalts heißt Tradition im theol. Sinn. Insofern die Erkenntnis der Inspiration u. des Kanons der H. Sch. auf die Tradition zurückgeht, ist die Tradition bleibend der H. Sch. ”vorgeordnet“. Wenigstens in diesem Sinn gelten H. Sch. u. mündliche Tradition in gleicher Weise als Quelle u. Norm für die Lehrverkündigung der Kirche (DV 8 –10 ; LG 25 ). Dabei bleibt unbestritten, daß die mündliche Tradition der Kirche auf die H. Sch. als Quelle u. Norm zurückgreifen muß (DV 10 ). In der kath. Kirche u. Theologie besteht eine Kontroverse darüber, ob die Tradition nach der Konstitution der H. Sch. außer bei der Erkenntnis der Inspiration u. des Kanons auch noch materiale Glaubensinhalte weitergebe, die in keiner Weise aus der H. Sch. erhoben werden können. Das II. Vaticanum hat diese Frage bewußt offen gelassen. Nach ihm sind H. Sch. u. Tradition zusammengefaßt in der ”apostolischen Predigt“, die in der H. Sch. ”besonders deutlichen Ausdruck“ gefunden hat. Der Tradition kommen die Funktionen der Erkenntnis des vollständigen Kanons (DV 8 ) u. der Vergewisserung über alles Geoffenbarte zu (DV 9 ). In den kirchlichen Lehraussagen existieren keine konkreten Angaben über material-inhaltliche Sätze, die nur durch mündliche Tradition vermittelt seien. Auch bei definierenden Lehren, die weitab von der H. Sch. zu liegen scheinen, sucht das Lehramt ein ”letztes Fundament“ in der H. Sch. nachzuweisen. Der Nachweis, daß heute existierende Dogmen nur auf ein mündliches apostolisches Kerygma zurückzuführen seien, ist nicht leichter als der Versuch des Nachweises, daß ein heutiges Dogma die ”Explikation“ dessen ist, was ”implizit“ in der H. Sch. gesagt ist (so die Prinzipien der Dogmenentwicklung) . In Zweifelsfällen kann nur durch die H. Sch. entschieden werden, was unter den überlieferten Inhalten der Tradition nur menschliche u. was göttlich-apostolische Tradition ist.
9. Die H. Sch. als Quelle u. Norm des Glaubenslebens. Die H. Sch. beider Testamente rühmt die Lebensbedeutung der Schriftlesung. Nach dem Beispiel der Synagogen gestalteten die frühchristlichen Gemeinden ihre Wortgottesdienste mit Schriftlesung. Das II. Vaticanum hob die Praxis des Glaubens aus dem Wort Gottes (DV 21 –25 ), die Bedeutung der H. Sch. in der Liturgie (SC 7 , 24 , 35 , 51 , 92 ) u. als Glaubens- u. Lebensnorm bei nichtkatholischen Christen (LG 15 ) hervor.
2. Positive Daten: Altes Testament , Neues Testament .
3. Göttliche Urheberschaft: Inspiration.
4. Abgrenzung der H. Sch. von anderen, nicht normativen schriftlichen Objektivationen des Glaubens der frühen Kirche: Kanon.
5. ”Irrtumslosigkeit“ der H. Sch. Das II. Vaticanum berücksichtigte die bibelwissenschaftliche Erkenntnis, daß in der H. Sch. Unrichtigkeiten enthalten sind. Es unterschied zwischen Gott als dem ”Urheber“ der H. Sch. u. den Menschen als deren ”echten Verfassern“. Es vermied den Begriff ”Irrtumslosigkeit“ u. lehrte statt dessen, daß die Bücher der H. Sch. ”sicher, getreu u. ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte“ (DV 11 ). Bei Verdacht auf Irrtümer ist zu untersuchen, was die Absicht einer Aussage u. deren Grenzen sind, unter genauer Berücksichtigung der literarischen Gattung (DV 12 ). Der ”Sitz im Leben“ einer Aussage ist zu berücksichtigen. Die unvermeidlichen ”Randunschärfen“ jeder menschlichen Aussage sind mit zu bedenken. Aussageinhalt u. -absicht sind zu unterscheiden von bloßer Berichterstattung über gängige Meinungen (auch im Hinblick auf Schriftzitate innerhalb der H. Sch.). Perspektivitäten u. Mentalitäten (z. B. des Apostels Paulus als eines Konvertiten) sind zu beachten. Zu bedenken bleibt, daß vieles an Text u. Inhalt der H. Sch. noch dunkel ist u. möglicherweise für immer dunkel bleiben wird. Die Bibelwissenschaft hat das Recht, Textaussagen, die nicht unmittelbar eine Heilswirklichkeit betreffen, nach den Maßstäben der heutigen Kriterien für Wahrheit u. Richtigkeit zu beurteilen.
6. Zur Interpretation der H. Sch.: Bibelwissenschaften, Hermeneutik, Schriftsinne.
7. H. Sch. u. kirchliches Lehramt. Wenn die H. Sch. als Objektivation des Wortes Gottes gilt u. als solche immer nur im lebendigen Zeugnis der verkündigenden (u. damit auch lehrenden) Kirche erkannt werden kann, u. wenn Verkündigung (u. damit auch Lehre) der Urkirche legitim weitergeführt werden, dann ergeben sich daraus ein innerer Zusammenhang von H. Sch. u. kirchlichem Lehramt u. die Legitimität der lehramtlichen Schriftinterpretation. Damit stehen Kirche u. Lehramt nicht über der H. Sch., wohl aber über deren individueller Auslegung. Zur Kirche in ihrem nicht-menschlichen Ursprung gehört als ein inneres Moment die H. Sch. Die Treue zu diesem Ursprung ist durch den Heiligen Geist garantiert u. ist damit immer auch Treue zur H. Sch. Weil das Lehramt nur bezeugen u. weitergeben kann, was im apostolischen Kerygma der Urkirche als geoffenbart bezeugt ist, u. weil dieses Kerygma in der H. Sch. rein u. unverfälscht objektiviert ist, bleibt die H. Sch. verpflichtende Quelle u. Norm für das Lehramt (DV 10 ).
8. H. Sch. u. Tradition. Die Weitergabe des apostolischen Kerygmas als autoritative, aktuelle Lehrverkündigung eines Inhalts als eines apostolisch geoffenbarten Inhalts heißt Tradition im theol. Sinn. Insofern die Erkenntnis der Inspiration u. des Kanons der H. Sch. auf die Tradition zurückgeht, ist die Tradition bleibend der H. Sch. ”vorgeordnet“. Wenigstens in diesem Sinn gelten H. Sch. u. mündliche Tradition in gleicher Weise als Quelle u. Norm für die Lehrverkündigung der Kirche (DV 8 –10 ; LG 25 ). Dabei bleibt unbestritten, daß die mündliche Tradition der Kirche auf die H. Sch. als Quelle u. Norm zurückgreifen muß (DV 10 ). In der kath. Kirche u. Theologie besteht eine Kontroverse darüber, ob die Tradition nach der Konstitution der H. Sch. außer bei der Erkenntnis der Inspiration u. des Kanons auch noch materiale Glaubensinhalte weitergebe, die in keiner Weise aus der H. Sch. erhoben werden können. Das II. Vaticanum hat diese Frage bewußt offen gelassen. Nach ihm sind H. Sch. u. Tradition zusammengefaßt in der ”apostolischen Predigt“, die in der H. Sch. ”besonders deutlichen Ausdruck“ gefunden hat. Der Tradition kommen die Funktionen der Erkenntnis des vollständigen Kanons (DV 8 ) u. der Vergewisserung über alles Geoffenbarte zu (DV 9 ). In den kirchlichen Lehraussagen existieren keine konkreten Angaben über material-inhaltliche Sätze, die nur durch mündliche Tradition vermittelt seien. Auch bei definierenden Lehren, die weitab von der H. Sch. zu liegen scheinen, sucht das Lehramt ein ”letztes Fundament“ in der H. Sch. nachzuweisen. Der Nachweis, daß heute existierende Dogmen nur auf ein mündliches apostolisches Kerygma zurückzuführen seien, ist nicht leichter als der Versuch des Nachweises, daß ein heutiges Dogma die ”Explikation“ dessen ist, was ”implizit“ in der H. Sch. gesagt ist (so die Prinzipien der Dogmenentwicklung) . In Zweifelsfällen kann nur durch die H. Sch. entschieden werden, was unter den überlieferten Inhalten der Tradition nur menschliche u. was göttlich-apostolische Tradition ist.
9. Die H. Sch. als Quelle u. Norm des Glaubenslebens. Die H. Sch. beider Testamente rühmt die Lebensbedeutung der Schriftlesung. Nach dem Beispiel der Synagogen gestalteten die frühchristlichen Gemeinden ihre Wortgottesdienste mit Schriftlesung. Das II. Vaticanum hob die Praxis des Glaubens aus dem Wort Gottes (DV 21 –25 ), die Bedeutung der H. Sch. in der Liturgie (SC 7 , 24 , 35 , 51 , 92 ) u. als Glaubens- u. Lebensnorm bei nichtkatholischen Christen (LG 15 ) hervor.