Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Heilig
   , das Heilige   ein religiöser Grundbegriff, der in Religionsphilosophie, Religionswissenschaft, in den Bibelwissenschaften u. in der systematischen Theologie sehr unterschiedlich verstanden wird. Religionswissenschaftlich kann das Heilige alles dasjenige bezeichnen, was von Menschen als unverfügbar verehrt wird, was als Macht, von der Menschen völlig abhängig sind, erfahren wird. Religiöse Erfahrungen können die unterschiedlichsten Gestalten annehmen. Werden sie religionsphilosophisch analysiert, dann zeigt sich ein Doppelcharakter des Heiligen in derWelt: Es wird auf den ”Höhepunkten“ des Daseins erschütternd u. unberechenbar wahrgenommen, vor allem in der Liebe u. im Tod, u. zugleich entzieht es sich unmittelbar in das Zweideutige u. Verhüllte hinein. Unter Umständen wird das Heilige auf den Höhepunkten der Erfahrung als das Notwendige verstanden, weil es allein Sinn garantieren u. endgültiges Heil in Aussicht stellen kann, u. gleichzeitig erscheint es als das Freie, weil es nicht gefordert u. nicht durch Kulthandlungen erzwungen, sondern nur aus dem (gnädigen) Geheimnis erhofft werden kann. Dieser Doppelcharakter des Heiligen läßt deutlich werden, daß es ein Ereignis ist. Seit dem Aufkommen der Analysen des Heiligen zu Beginn des 19. Jh. wird es bis zur Gegenwart in äußert zahlreichen Aspekten beschrieben. Viel beachtet bleibt weiterhin die Beobachtung bei R. Otto († 1937), daß die Erfahrungen des Heiligen in furchterregender Scheu u. zugleich in einem faszinierenden, anziehenden Gefühl bestehen. Von da an scheint die Aufmerksamkeit für das intuitiv erspürte Heilige eine Art ”Ausgleich“ für die Rationalität des theol. Denkens u. die ”Entzauberung“ der Welt zu sein, in neuester Zeit auf das Unerklärliche u. Unverfügbare am Leben u. an der Natur ausgedehnt (A. Schweitzer †1965; H. Jonas † 1993 u. a.). Der Ereignischarakter des Heiligen prägt dessen Erfahrungen, wie sie von der biblischen Tradition bezeugt sind. Der ”Heilige Israels“ erscheint als der Ehrfurchtgebietende, Geschichtsmächtige, absolut Erhabene, bei dessen Erfahrung die Menschen erst recht ihrer Nichtigkeit bewußt werden (Heiligkeit Gottes ). Bei dem bleibenden qualitativen Abstand zwischen dem heiligen Gott u. denMenschen ist denMenschen dennoch eine dauerhafte, wenn auch völlig unverfügbare innerste Nähe zum Heiligen geschenkt: im Heiligen Geist . Die Verbindung von ”heilig“ mit ”heilige Scheu“ tritt im NT zurück hinter der Bedeutung: ”von Gott in Anspruch genommen“, ”erwählt“ (Heiligkeit des Menschen ). Was die neuere Religionswissenschaft am Phänomen des Heiligen besonders beschäftigt, die Erfahrung des Furchterregenden u. Faszinierenden, des ”Numinosen“, das kommt in den biblischen Zeugnissen vor allem in den Erzählungen von Theophanien, von jähem Erschrecken u. blitzartigen Erleuchtungen zum Ausdruck.
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