Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Heidentum
   1. Biblisch. Dem Wort ”Heiden“ (ungeklärter Herkunft) entsprechen in der Bibel unterschiedliche Begriffe. Die Israel umgebenden ”Völker“ (hebr. ”gojim“) werden im AT vor allem in ihrer religiösen u. kulturellen Verschiedenheit gesehen, wenn sich Israel auch nicht völlig von allen fremden Einflüssen freihalten konnte. Bedrohungen von außen, die Situation des Exils u. die nachexilische Erneuerungsbewegung führten zu einer Stärkung des Bewußtseins Israels, das zuerst von Gott geliebte u. erwählte Volk (hebr. ”am“, griech. ”laos“) Gottes zu sein, u. zu stärkerer negativer Beurteilung der ”Völker“, denen wegen ihres ”Götzendienstes“, ihrer Unmoral u. ihrer Unrechtstaten das Gericht Gottes u. der Untergang angedroht werden. So können diese ”Fremden“ auch als Gottlose oder Unbeschnittene, die das Reine verunreinigen, aufgefaßt werden. Die Prophetie (Deutero-Jes) kennt jedoch auch eine theol. Sendung Israels (als des Knechtes Gottes ) zum Dienst an den Heiden-”Völkern“ u. die Verheißung einer ”Völkerwallfahrt“ zum Zion, die eine endzeitliche Rettung der Heiden in das Friedensreich Gottes bedeutet. Im jüdischen Schrifttum findet auch der Bund Gottes mit der ganzen Menschheit in der Gestalt des Noach Beachtung. Der Begriff ”Völker“ (griech. ”ethne“) als Bezeichnung derer, die nicht zu den christlichen Gemeinden u. nicht zu Israel gehören, ist im NT geblieben; aus dem Griechischen werden auch die Bezeichnungen ”Hellenen“ (Griechen) u. ”Barbaren“ (Bartträger) übernommen. Erst nach der Ausweitung der Jesusverkündigung über die jüdische Glaubensgemeinschaft hinaus erfolgt eine theol. Beurteilung der Heiden, bei Paulus nach Apg 17 wegen ihrer Gottesverehrung großzügig, nach Röm 1 u. 2 wegen ihres Götzendienstes u. ihrer moralischen Verkommenheit völlig negativ. Die nationale Komponente des H. tritt zurück. Denen, die das Evangelium kennen u. es nicht annehmen, wird die Möglichkeit zum ewigen Heil zu gelangen abgesprochen. In der Offb erscheinen die heidnischen Machthaber als Werkzeuge der bösen Mächte.   2. Theologiegeschichtlich. Die theol. Bewertung des H. ist in der alten Kirche unterschiedlich (Extra Ecclesiam nulla salus ): teils wird eine Möglichkeit der gerechten Heiden (u. Juden), in Gottes Heil zu gelangen, angenommen, teils wird diese Möglichkeit verneint. Nachdem die Christen im 4. Jh. die staatliche Macht im römischen Reich erlangten, begann die Unterdrückung der Heiden (lat. ”gentiles“, ”pagani“). Die theol. Beurteilung umfaßte ”Ungläubige“ (Heiden, Juden, Muslime), Schismatiker (Schisma), Häretiker (Häresie), später auch Atheisten (Atheismus). Sie machte von der Auffassung, daß die Zugehörigkeit zur röm.-kath. Kirche absolut heilsnotwendig sei, bis zur Anerkennung des universalen wirksamen Heilswillens Gottes eine bemerkenswerte Entwicklung durch. Das praktische Verhalten der christlichen Kirche äußerte sich in Heiden- u. Ketzerverfolgungen, Kreuzzügen, Zwangstaufen u. Massenmorden bei den Kolonisierungen (auch durch ev. Christen), mit relativ seltenem Widerstand durch Kirchenangehörige. Thomas von Aquin († 1274) lehnte Zwangsbekehrungen von Heiden grundsätzlich ab, während Johannes Duns Scotus († 1308) die Nötigung von Heiden durch Drohungen u. Terror zur Zwangstaufe für erforderlich hielt. Das Ende der aggressiven christlichen Haltung gegenüber dem H. u. das Überhandnehmen der Toleranz fallen in etwa mit der Aufklärung zusammen.
   3. Neuere Aspekte. Während die Theologien beider großen Kirchen das Verhältnis der Glaubenden zu Andersgläubigen u. Nichtglaubenden grundsätzlich u. systematisch erörtern, wird der Begriff H. nicht mehr verwendet außer in der Erforschung der Anfänge der Heidenmission in neutestamentlicher Zeit. Ein religionsgeschichtlicher Begriff war er ohnedies nie. Auch die Ersatzbezeichnungen ”Nichtchristen“ oder ”Nichtglaubende“ (so noch der Vatikan 1965 mit der Errichtung eines Sekretariats ”pro non credentibus“) werden zunehmend vermieden, weil Haltungen u. Gruppierungen, die respektiert u. als Dialogpartner gesucht werden, mit ihnen nur negativ u. vom christlichen Standpunkt aus bezeichnet werden. – Zu Beginn des 20. Jh. entstanden in Deutschland u. Österreich nationalistische, rassistische u. kirchenfeindliche Bewegungen, die durch Rückgriffe vor allem auf das ”Germanentum“ weltanschaulich fundiert werden sollten. Von christlicher Seite wurden sie als ”Neuheidentum“ bezeichnet, obwohl bei ihnen obskure Vorstellungen von Gotteserkenntnis u. Vorsehung kursierten. Neben neonazistischen Überresten verstehen sich einige Manifestationen der ”neuen Religiosität“ heute selber als ”neuheidnisch“, wobei Teile keltischer, indianischer, afro-amerikanischer, schamanischer Rituale u. Naturanschauungen in den Widerstand gegen technologische Zivilisation u. Naturzerstörungen einbezogen werden.
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