Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Gesetz und Evangelium
ist eine Formel, die einen Gegensatz zum Ausdruck bringen soll, der für die religiöse Haltung u. die Theologie M. Luthers († 1546) im Zusammenhang mit der Frage nach der Rechtfertigung von größter Bedeutung ist. Die Formel findet sich bei Paulus nicht, kann aber aus seinen Wendungen gegen das Gesetz u. für ”sein“ Evangelium abgeleitet werden; sachlich nahestehend ist die Alternative von ”Geist“ u. ”Buchstabe“ (z. B. 2 Kor , 6). Luther ging von seiner ganz persönlichen Erfahrung aus, daß das G. zwar den Willen Gottes offenbart, aber vom Menschen nicht erfüllbar ist. Hinzu kam die Erfahrung der Überformung des Evangeliums durch das Kirchenrecht u. zahlreiche Kirchengebote. Der in einen dauernden Anklagezustand versetzte Mensch erfährt im Glauben an das Wort des Evangeliums die Befreiung von der Anklage (nicht zur ethischen Ungebundenheit). Das G. behält nach Luther eine doppelte positive Funktion (”duplex usus legis“): Im ”ersten Brauch (usus)“ dämmt das G. Gottes das Böse ein u. dient der ”bürgerlichen Gerechtigkeit “ (vgl. auch Zwei-Reiche -Lehre ), im ”zweiten Brauch“ überführt es den Menschen seiner Sünde u. treibt ihn in eine Verzweiflung vor Gott, in der er nach dem freisprechenden Evangelium Ausschau hält. Nach einer innerreformatorischen Kontroverse wurde, von Ph. Melanchthon († 1560) beeinflußt, ein ”dritter Brauch“ entwickelt, das Befolgen des Gesetzes aus Lust u. Freude am Willen Gottes. Die Frage nach G. u. E. führte nicht zu einem Streit mit Katholiken; das Konzil von Trient äußerte sich nicht zum Thema. Die exegetischen Bemühungen u. systematische Reflexionen haben einen Konsens denkbar gemacht, daß die Orientierungsmarken desWillens Gottes, die zur Findung immer neu aktualisierter Normen des ethischen Verhaltens führen sollen, mit dem Begriff ”Gesetz“ nicht zutreffend gekennzeichnet sind u. daß der sich selber erschließende Gott nicht als ”Gesetzgeber“ vorgestellt werden sollte. Auch ist ein ”Gesetz“ nicht das funktionierende Instrument zur Erkenntnis der Sünde. Weder die Personifizierung des Gesetzes als Unheilsmacht noch die Polemik des Paulus sind mitvollziehbar. So bestehen heute kaum noch die Möglichkeiten, die gedanklichen Voraussetzungen des Themas G. u. E. mitzuvollziehen.
ist eine Formel, die einen Gegensatz zum Ausdruck bringen soll, der für die religiöse Haltung u. die Theologie M. Luthers († 1546) im Zusammenhang mit der Frage nach der Rechtfertigung von größter Bedeutung ist. Die Formel findet sich bei Paulus nicht, kann aber aus seinen Wendungen gegen das Gesetz u. für ”sein“ Evangelium abgeleitet werden; sachlich nahestehend ist die Alternative von ”Geist“ u. ”Buchstabe“ (z. B. 2 Kor , 6). Luther ging von seiner ganz persönlichen Erfahrung aus, daß das G. zwar den Willen Gottes offenbart, aber vom Menschen nicht erfüllbar ist. Hinzu kam die Erfahrung der Überformung des Evangeliums durch das Kirchenrecht u. zahlreiche Kirchengebote. Der in einen dauernden Anklagezustand versetzte Mensch erfährt im Glauben an das Wort des Evangeliums die Befreiung von der Anklage (nicht zur ethischen Ungebundenheit). Das G. behält nach Luther eine doppelte positive Funktion (”duplex usus legis“): Im ”ersten Brauch (usus)“ dämmt das G. Gottes das Böse ein u. dient der ”bürgerlichen Gerechtigkeit “ (vgl. auch Zwei-Reiche -Lehre ), im ”zweiten Brauch“ überführt es den Menschen seiner Sünde u. treibt ihn in eine Verzweiflung vor Gott, in der er nach dem freisprechenden Evangelium Ausschau hält. Nach einer innerreformatorischen Kontroverse wurde, von Ph. Melanchthon († 1560) beeinflußt, ein ”dritter Brauch“ entwickelt, das Befolgen des Gesetzes aus Lust u. Freude am Willen Gottes. Die Frage nach G. u. E. führte nicht zu einem Streit mit Katholiken; das Konzil von Trient äußerte sich nicht zum Thema. Die exegetischen Bemühungen u. systematische Reflexionen haben einen Konsens denkbar gemacht, daß die Orientierungsmarken desWillens Gottes, die zur Findung immer neu aktualisierter Normen des ethischen Verhaltens führen sollen, mit dem Begriff ”Gesetz“ nicht zutreffend gekennzeichnet sind u. daß der sich selber erschließende Gott nicht als ”Gesetzgeber“ vorgestellt werden sollte. Auch ist ein ”Gesetz“ nicht das funktionierende Instrument zur Erkenntnis der Sünde. Weder die Personifizierung des Gesetzes als Unheilsmacht noch die Polemik des Paulus sind mitvollziehbar. So bestehen heute kaum noch die Möglichkeiten, die gedanklichen Voraussetzungen des Themas G. u. E. mitzuvollziehen.