Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Gesetz
   bezeichnet eine für eine Gemeinschaft erlassene Ordnung, die von der anerkannten Autorität dieser Gemeinschaft aufgestellt wurde. Gesetze, wenn auch in unterschiedlicher Gestalt, existieren in allen Religionen.   1. Im Ersten Testament ist eine große Zahl von Weisungen in den unterschiedlichsten Zusammenhängen u. mit verschiedenen Begriffen oder auch ”nur“ narrativ bezeugt. Den höchsten religiösen u. theol. Rang nimmt die Tora, Inbegriff der Weisungen Gottes für sein Eigentumsvolk, ein. In vorexilischer Zeit ist sie in Einzelweisungen formuliert.Wesentliche Weisungen der Tora sind im ”Privilegrecht“ (Ex 34, 12–26) aus der Königszeit mit kultischen Einzelvorschriften verbunden. Eine Sammlung u. erweiternde Fassung, verbunden mit theol. Begründungen, stellt das ”Bundesbuch “ (Ex 20–23) dar. Immer unter größter Respektierung der Tora werden weitere Gebote bzw. Verbote auch später angefügt (z. B. die ”Reinheits “-Tora Lev 1–15 u. das ”Heiligkeitsgesetz“ Lev 17–26). ”Am Ende der Perserzeit ist die ›Tora des Mose‹, d. h. der Pentateuch, kanonisiert“ (F.-L. Hossfeld). Bemerkenswert für das Selbstverständnis des Judentums ist die bis heute geltende Beobachtung, daß das G. nicht als drückende Last, sondern als unter Jubel u. Dank entgegengenommenes Geschenk Gottes gilt (das bezeugen auch die ”Tora-Psalmen“). Nach der Katastrophe des Jahres 70 entwickelte sich die Auffassung von der ”doppelten Tora“: Der Pentateuch stellt die ”schriftliche Tora“ dar, die rabbinischen Aktualisierungen bilden die ”mündliche Tora“ (Rabbi).
   2. Neues Testament. a) Jesus sah zweifellos das G. im Licht der von ihm verkündeten nahen Herrschaft Gottes . Er verstand sich nicht als ”Gesetzeslehrer“, sondern interpretierte situationsbezogen Weisungen der von ihm grundsätzlich in ihrer Geltung bejahten Tora (Bergpredigt). Bei der Sammlung seiner Worte (Logienquelle) erhielten manche seiner interpretierenden Weisungen Gesetzesgestalt, die der frühesten Gemeinde aber nicht als unabänderlich galten, sondern z.T. verschärft (Mt 5, 21–48; Mk 10, 1–12), z.T. gemildert (Mk 2, 27; 7, 1–23) wurden. Für die Synoptischen Evangelien steht nach Auffassung der heutigen Exegese fest, daß sie die Tora bejahen, z.T. radikalisieren, Einzelweisungen (z. B. Speise- u. Ritualgebote) aber ”relativieren“. Zwischen der Gemeinde von Antiochien u. der von Jerusalem entstand die Streitfrage, ob ”Heidenchristen“ beschnitten werden müßten (Beschneidung) . Petrus lehnte dies ab (Apg 15, 11); Jakobus ebenso, der aber für gemischte Gemeinden Klauseln verlangte (kein Essen von Götzenopferfleisch, Blut u. Ersticktem, keine Ehe mit nahen Verwandten) (vgl. die Beschlüsse des sog. Apostelkonzils Apg 15, 23–29; die Darstellung bei Paulus Gal 2,1–10). In schrofferWeise setzt sich das Johanneische Schrifttum vom G. ab; es steht ganz im Zeichen der Entfremdung von Juden u. Christen. – b) Eine eigene Stellungnahme zum G. legte Paulus vor; dabei hat der Begriff G. (griech. ”nomos“) bei ihm sehr verschiedene Bedeutungen. Seine Radikalkritik am G. als Heilsweg enthalten Gal u. Röm, wobei nicht zu übersehen ist, daß er eine positive Bedeutung des Gesetzes als Wegweisung auch für Christen nicht leugnet (Röm 7 u. 8). Über das genauere Verständnis dieser Auseinandersetzung des Paulus mit dem G. u. über die Frage, welches G. er überhaupt gemeint habe u. ob es in der Form, in der er es bekämpft, im damaligen Judentum überhaupt nachgewiesen werden könne, ist die exegetische Diskussion noch in vollem Gang. Nur eine Minderheit von Exegeten vertritt noch die Meinung, die Wendungen des Paulus gegen das G. seien gleichzeitig gegen das Judentum gerichtet. Auf seine heftige Polemik im Kampf um ”seine“ Gemeinden u. auf seinen ”Konvertitenstatus“ (I. Broer) wird hingewiesen.
   3. Zur Theologiegeschichte. In der Kirchenväterzeit vertraten nur Randgruppen die Auffassung einer völligen Freiheit vom G. Der antisemitische Irrlehrer Markion (Mitte des 2. Jh.) gab sich als radikaler Anhänger des Paulus; er lehrte einen völligen Gegensatz zwischen dem Gesetzesgott des AT u. dem Gott des gesetzesfreien Evangeliums. Diese Ansicht fand so wenig wie der vom Ernst der Taufentscheidung geprägte Rigorismus kirchliche Anerkennung. Sowohl die eher rechtlich denkende westliche Theologie (unter dem Einfluß der Stoischen Philosophie in ihrer römischen Ausprägung) als auch die pädagogisch orientierte östliche Theologie anerkannten die bleibende Geltung des Dekalogs, zu dem sich (von Röm 1 u. 2 aus) das natürliche Sittengesetz gesellte. Thomas von Aquin († 1274) systematisierte die überlieferten Theorien zum G. Als grundlegend erachtete er das ”ewige G.“ (die ”lex aeterna“), die auf die Schöpfung hin orientierte göttliche Ordnungsvernunft. An ihr partizipieren zwei Weisen des Gesetzes, die auf menschliches Handeln bezogen sind, das ”Naturgesetz“ (”lex naturalis “) u. das ”göttliche G.“ (”lex divina“). Das ”Naturgesetz“ besteht nicht aus Normen, sondern wesentlich aus der Fähigkeit, zwischen gut u. böse unterscheiden zu können (es ist also nicht mit dem Naturrecht identisch). In einem Zusammenhang mit ihm steht das ”menschliche G.“ (”lex humana “), eine Anordnung der Vernunft im Hinblick auf das Gemeinwohl, erlassen von der legitimen Autorität. Das ”göttliche G.“ (”lex divina“) unterscheidet sich in das ”alte“ (”lex vetus“) u. das ”neue“ (”lex nova“). Nach Thomas behalten die Gebote des AT ihre Verbindlichkeit; sie gehen inhaltlich aber nicht über dasjenige hinaus, was ein Mensch als das sittlich Gesollte mit der natürlichen Vernunft erkennen kann. Die ”lex nova“ geht unter dem Zeichen des Glaubens an das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus u. als Liebesgebot über ein bloßes vernünftiges G. hinaus. Diese dem biblischen Befund nicht gerecht werdende Auffassung blieb in der kath. Theologie bis ins 20. Jh. vorherrschend.
   4. Zur Systematik: Gebote Gottes , Dekalog, Moraltheologie, Ethik .
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