Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Geist
   als philosophischer u. theol. Begriff hat eine doppelte Herkunft, aus den biblischen Zeugnissen u. aus dem griech. Denken.   1. Biblisch. Im AT ist das bevorzugte hebr. Wort für G. ”ruach“, dem die Erfahrung des Atmens, Aushauchens u. des Windes zugrundeliegt, in der LXX meist mit Pneuma wiedergegeben. Die ”ruach“ ist gleichbedeutend mit Lebenskraft oder befähigender Dynamik. Die ”ruach“ Gottes ist eine konkrete Weise seines Einwirkens in Menschen u. Schöpfung. Der menschliche G. (manchmal auch hebr. ”leb“ = Herz als Stätte der Einsicht) wird als vielfältige seelische u. emotionale Erfahrung beschrieben. Prophetisch werden als eschatologische Gaben des Geistes genannt:Weisheit u. Einsicht, Rat u. Stärke, Erkenntnis u. Gottesfurcht (Jes 11, 2). Die ”Ausgießung“ des Geistes über ”alles Fleisch“, d. h. alleMenschen, so daß ”eure Söhne u. Töchter weissagen werden, eure Greise Träume träumen werden, eure Jünglinge Gesichte sehen werden“ u. der Geist auch über Knechte u. Mägde ausgegossen wird, ist Gegenstand der Prophetie bei Joel 2, 28 f. Diese Bedeutungen von G. halten sich im NT durch. Zum G. als Weise der konkreten Einwirkung Gottes: Pneuma. AlsWind (Wehen) u. Hauch oder als Atem, Lebenskraft desMenschen wird ”pneuma“ so eingesetzt wie im AT .Wie im AT begegnet die duale Auffassung des Menschen als Fleisch (Sarx) oder Leib einerseits, G. oder Seele anderseits (Röm 8, 10; 1 Kor 5, 3 ff. u. ö.), wobei gesagt werden kann, der G. sei willig, das Fleisch aber schwach (Mk 14, 38). Eine hellenistische Dreiteilung in G., Seele u. Leib begegnet 1 Thess 5, 23 (Trichotomismus).
   2. Philosophiegeschichtlich. In der frühgriech. Philosophie ist der ”nous“ (lat. ”intellectus“) ein Begriff für den Ort des Verstehens, zusammengesehen mit dem Logos, der sowohl in der menschlichen Seele als auch im Ganzen der Welt existiert. Bei Plotin († 270), dem bedeutendsten, im christlichen Bereich äußerst einflußreichen Philosophen des Neuplatonismus, ist das Nachdenken über den G. von einer konsequenten Einheitsauffassung bestimmt (”Alles Seiende ist durch das Eine seiend“). Dieses Eine ist das Absolute, während alles Seiende nur Einheit in Vielheit ist. Das Eine ist jenseits des Seins, also absolut transzendent. Dieses Eine denkt Plotin ”prozessual“: Die erste ihm (durch Hervorgang, Emanation) entspringende Vielheit bleibt noch ganz von der Einheit bestimmt, der G. (”nous“), der in seinen vielen Momenten (= den Ideen), mit sich identisch, sich selber als die Einheit der Vielheit denkt. Für Plotin existiert also ein zweites Eines, der G. In jeder Idee ist das Ganze des geistigen Seins enthalten. In dessen Entfaltung als Denken geschieht deshalb eine Rückkehr zu sich selber. Diese Einheit des Geistes wird erst in seiner zweiten Seinsstufe, der Seele, die die Materie formt, zu einer Verschiedenheit. Dieses G.-Denken bleibt auch nach der Aristoteles-Rezeption des Mittelalters erhalten: Das geistige Sein ist gekennzeichnet durch Bei-sich-selber-Sein, durch die Fähigkeit zur Selbst-Mitteilung (”communicatio“) u. Zu-sich-selber-zurück-Kommen (”reditio in seipsum “). Darin wird der wesentliche Unterschied zur Materie gesehen, die nie bei sich selber ist u. die nicht sich selber, sondern nur ihr gegebene Impulse mitteilen kann. Der G. aber erkennt dieMaterie u. formt sie durch die Seele (Hylemorphismus). In der scholastischen Theologie war der Weg nicht weit, das transzendent Eine mit Gott zu identifizieren u. die Lebensäußerungen Gottes als Selbstmitteilung im G. zu verstehen. Der ”prozessuale“ Charakter dieses Verhältnisses Gottes zum Nichtgöttlichen, in der Theologie vom Geschehen der Schöpfung u. der Gnade verstanden, fand seinen philosophisch deutlichsten Ausdruck in der Religionsphilosophie G. W. F. Hegels († 1831). Nach ihm gelangt der G., der ”das Andere seiner selbst“ hervorbringt, durch den Ausgang zum Anderen zu sich selber (indem Gott den Kreaturen sein Leben, den menschlichen Subjekten sein Selbstbewußtsein mitteilt). Diese in der christlichen (besonders in der kath. ausgeprägten) Philosophie heimisch gewordenen Gedanken sahen sich bei L. Feuerbach († 1872) u. den von ihm Beeinflußten dem Projektionsverdacht ausgesetzt, als handle es sich nur um eine Selbstbespiegelung des menschlichen Geistes, u. im Gefolge dieses nachwirkenden Verdachts wird diesem Geistdenken bis zur Gegenwart vorgeworfen, im Konstrukt der stimmigen Geistprozesse handle es sich nur um eine Legitimierung des Faktischen, das durch diese Vorgänge selber als ”vernünftig“ ausgewiesen werden solle. Dem gegenüber wäre der Hinweis auf das Unplanbare u. Unvorhersehbare, auch nicht einfach als Prozeß Analysierbare im Wirken des Geistes von Bedeutung.
   3. Systematisch. G. kann verstanden werden als dasjenige Seiende, das auf das Sein hin offen ist u. zugleich eröffnet ist auf dasjenige hin, was es selber ist u. was es nicht ist, also durch ein doppeltes Eröffnetsein, so daß G. zwei Grundmerkmale aufweist, Transzendenz u. Reflexion (die sich auf den Selbstbesitz im Bei-sich-Sein, Selbstbewußtsein, u. auf das Bewußtsein der Freiheit bezieht). Wenn das Denken auf das Sein im ganzen ausgreift, erfährt es sich selber als lebendig u. als Subjekt, während es das andere, das es (als ebenfalls seiend) wahrnimmt, u. zwar als anderes, begegnendes wahrnimmt, als ”Objekt“ erfährt. So erfährt sich der G. im Abstand vom Fremden u. erkennt zugleich seine Fähigkeit, das Ganze des Seins zu denken, u. eben dadurch erfährt er seine Freiheit, zu einem bestimmten Anderen frei auswählend Stellung zu nehmen u. sich damit auch selber zu bestimmen. Zugleich erfährt sich der menschliche G. bei solchen Vorgängen als endlich, denn das Andere, Fremde, begegnet ihm ungeplant, u. seine Erkenntnis des Anderen ist an die Vermittlung durch den Leib gebunden. Eben wegen dieser Bindung an den Leib u. dadurch an Raum u. Zeit heißt der menschliche G. in der christlichen Systematik nicht ”reiner G.“, sondern Seele, die in ihrem Erkennen u. Wollen auf die Sinnlichkeit angewiesen ist. Die Bedingung der Erfahrung u. Erkenntnis des Endlichen ist ein ”Ausgriff“ des menschlichen Geistes, der als solcher unbegrenzt ist u. daher immer auf etwas hin offen ist, das er niemals adäquat einholen (u. ”begreifen“) kann. Der Projektionsverdacht, als handle es sich nur um ”Selbstbetrachtung“, ist von da her nicht haltbar. Das Bewußtsein des menschlichen Geistes ”weiß“, vielleicht ohne es wahrhaben zu wollen oder ohne es thematisch zu reflektieren, daß es nur existiert u. tätig sein kann, weil seine Transzendenz im ”Ausgriff“ durch einen Grund, ein ”Woraufhin“, seiner Existenz u. seiner Bewegung getragen ist. Dieser Grund läßt sich von ihm weder aufhellen noch begreifen, daher erscheint er ihm als Geheimnis, als unbegrenzt-unendliches Unbegreifliches. Von diesem her u. auf dieses hin erfährt sich der menschliche Geist als ausgesetzt an sich selber u. an seine Freiheit. Er ist also nicht allein oder primär durch das Faktische bestimmt. Auf das Geheimnis hin bleibt der menschliche G. auch in seiner Zukunft offen.
   4. Zum G. Gottes: Pneuma, Heiliger Geist .
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