Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Gehorsam
   bezeichnet die Anerkennung einer rechtmäßigen Autorität in Gesinnung u. praktischem Verhalten.   1. Biblisch. In der Schrift des AT u. NT besteht G. gegenüber Gott im Zusammenhang damit, daß Menschen die Erfahrung machen, von Gott angesprochen zu sein, im ”Hören“ (das im deutschen Wort ”Gehorsam“ u. im griech. ”hypakoue“ enthalten ist) desWortes Gottes u. im ”Tun“ seinesWillens. DenWillen Gottes in seinen Weisungen zu kennen, ist Grund für die Freude des Glaubenden. Der jüdischen Frömmigkeit ”formalen Gesetzesgehorsam“ vorzuwerfen, ist nichts anderes als antisemitisches Vorurteil. Ein im NT besonders hervorgehobener G. ist derjenige Jesu, der in die Annahme eines Knechtsdaseins einwilligt (Phil 2, 7 f.; Hebr 5, 8). Wenn Paulus den G. mit der Annahme des Glaubens zusammenbringt, dann wird im Kontext vom Heil u. Rettung bringenden Glauben gesprochen, so daß der Glaubensgehorsam dem ureigensten Interesse des Angesprochenen entsprechen müßte u. nicht auf äußerlichem Befehl beruht. Gal 5, 7 u. Röm 14, 23 besagen, daß Glauben u. Handeln aus Einsicht erfolgen müssen. In der Tradition wirkte dasWort, daß man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen (Apg 5, 29), verpflichtend. Die biblischen Anschauungen über den G. der Kinder gegenüber Eltern, der Sklaven gegenüber ihren Herren sind zeitbedingt. Aufschluß über sachgemäße Pädagogik ist von der Bibel nicht zu erwarten.
   2. Kirchliche Tradition. Vor allem in zwei Bereichen der Kirchen- u. Spiritualitätsgeschichte ist das Thema des Gehorsams von großer Bedeutung.
   a) Der G. gehört zu den Evangelischen Räten u. wurde von Anfang an nicht nur als der Gott geschuldete G., sondern auch als G. gegenüber kirchlichen Oberen verstanden. Zugrunde liegt dieMeinung, man werde Gott in radikaler Weise gehorsam, wenn man sich einer menschlichen Befehlsgewalt unterstelle. Nach übereinstimmender Meinung in der Ethik hat ein formaler G. um des bloßen Gehorsams willen, auch als (falsche) Selbstverleugnung u. Demut, keine positive ethische Bedeutung. Ein Oberer kann nur im Dienst eines Zieles, von dem er überzeugt ist, daß es mit Sicherheit von Gott selber gewollt ist, von einem anderen Menschen G. verlangen, u. er hat das im Gespräch, um Verständnis u. Überzeugung werbend, argumentativ zu begründen. Andernfalls handelt er unsittlich. Gebietet der Obere das offensichtlich Sinnwidrige, dann ist es zugleich unmoralisch; damit ist die Verpflichtung gegeben, der Autorität zu widersprechen u. notfalls zu widerstehen. Sinn eines evangelischen Rates ist der G. gegenüber dem Wort Gottes u. die Absage an eitle Egozentrik, ist das Sich-zur-Verfügung-Stellen für den je Größeren, nicht der blinde G. – b) Nach der kirchlichen Rechtsordnung ist G. auf verschiedenen Ebenen (”kanonischer G.“) gefordert. Das neue kath. Kirchenrecht von 1983 u. nachfolgende Regelungen sind von dem Schema ”Befehl – Unterwerfung“ geprägt. Bei Übernahme eines kirchlichen Amtes ist häufig ein Eid oder ein Versprechen vorgesehen, um den G. Menschen gegenüber religiös zu unterbauen. Wer ein solches Amt übernimmt, muß Kenntnis der entsprechenden herrschenden Mentalität haben u. im Fall der Widersetzlichkeit mit kirchlichen Strafen rechnen. Weder die Forderung nach religiöser Glaubenszustimmung noch amtliche kirchlicheWeisung heben die Gewissensfreiheit eines Menschen auf. Die Parole ”Befehl ist Befehl“ ist keine Kategorie des Glaubens. Nicht jede Verweigerung des Gehorsams in der Kirche ist Häresie oder Schisma: Rezeption. Dialogische Bemühungen um Überzeugung u.Werbung um Zustimmung führen zu fairer, kritischer Loyalität u. zu konstruktiver Zusammenarbeit.
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