Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Geheimnis
   als Begriff der theol. Tradition: Mysterien und Christentum , Mysterien des Lebens Jesu.   1. Im engeren theol. Sinn bezeichnet G. etwas in der jetzigen menschlichen, auf sinnliche Vermittlung angewiesenen Erkenntnis Unbegreifliches, dessen Geheimnischarakter in der Anschauung Gottes aufgehoben werden wird. Die traditionelle Theologie unterscheidet a) ”natürliche Geheimnisse“, Wahrheiten über Gott, die nach Faktizität u. Inhalt erkennbar sind, wegen der Analogie der verwendeten Begriffe aber geheimnisvoll bleiben; b) Wahrheiten, die durch Gott geoffenbart werden mußten, weil sie sich auf frei von Gott gesetzte Wirklichkeiten beziehen, die mit der ”natürlichen Vernunft“ an der erfahrbarenWelt nicht abgelesen werden können; c) Wahrheiten, deren Inhalt nach ihrer inneren Möglichkeit u. nach ihrer Faktizität nur durch offenbarende Zeugnisse Gottes gewußt werden können u. jedem geschaffenen Intellekt unzugänglich sind. Diese letzteren sind nach der dogmatischen Lehre des I. Vaticanums die existierenden u. geoffenbarten Geheimnisse des Glaubens im strengsten Sinn. Gewöhnlich werden dazu gerechnet: die Trinität Gottes, die Inkarnation, die übernatürliche Gnade u. deren Vollendung, die Anschauung Gottes.
   2. In der Theologie K. Rahners († 1984) gilt G. nicht als ”Fehlform “ der natürlichen menschlichen Erkenntnis, sondern als eine Wirklichkeit, die dem religiösen Akt zuzuordnen ist; G. ist dasjenige, woraufhin ein Mensch in der Einheit seiner erkennenden u. in Freiheit liebenden Transzendenz sich selber immer schon ”übersteigt“ (Selbsttranszendenz) . G. ist daher ein wesentlicher u. bleibender Uraspekt der gesamten Wirklichkeit, insofern diese als ganze u. damit als unendlicheWirklichkeit dem endlichen geschaffenen Geist in seiner Offenheit auf das Unendliche hin gegenwärtig ist. Der Geist, verstanden als ”Eröffnetheit“ auf das Unendliche hin, ist das Vermögen der Annahme des Unbegreiflichen als solchen, also des bleibenden Geheimnisses. Das Bleiben des Unbegreiflichen als solchen wird durch den Glauben an die Anschauung Gottes nicht aufgehoben: Religiös-theol. darf gedacht werden, daß die Anschauung Gottes die Unendlichkeit u. Unbegreiflichkeit Gottes gerade als solche öffnet, so daß diese für den schauenden Geist in der Gnade Gottes der Grund seiner wirklichen u. ewigen Seligkeit sind. So gibt es in dieser theol. Sicht nur ein G.: daß die Unbegreiflichkeit Gottes (in der er Gott ist) nicht bloß als die Ferne u. als der Horizont, innerhalb dessen sich die menschliche Existenz bewegt, gegeben ist, sondern daß ”eben dieser Gott, unbegreiflich bleibend, sich selber den Menschen zur Unmittelbarkeit schenkt, so daß er als er selber die innerste Wirklichkeit des menschlichen Daseins wird“ (K. Rahner).
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