Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Fundamentalismus
   war zunächst die Bezeichnung für eine um 1910 publizistisch greifbare nordamerikanische Bewegung evangelischer Christen, die vehement gegen die historisch-kritische Bibelwissenschaft u. deren Folgen kämpften u. gegen vermeintlichenModernismus von einem festen Bestand unverstehbarer Glaubensinhalte, die für wahr zu halten seien, ausgingen (zu diesen ”Fundamentals“ zählten die göttliche Inspiration u. daher die Fehlerlosigkeit der Bibel, die Jungfrauengeburt, das stellvertretende Sühneleiden Jesu, dessen leibliche Auferstehung u. die Naherwartung seines Kommen; aus diesen Dogmen wurden weitere Glaubenswahrheiten verbindlich abgeleitet, nicht aber die Existenz der Kirche). Eine Konsequenz war, daß eine Entwicklung des Glaubens u. die Versuche, dessen Vereinbarkeit mit der Vernunft aufzuzeigen, strikt abgelehnt wurden. Nach 1914 wurde der F. organisatorisch weiterentwickelt, mit dem Programm, Einfluß in kirchlichen Vereinigungen zu gewinnen. Neue militante u. absolut intolerante Initiativen richteten sich gegen die Naturwissenschaften (zunächst gegen Hominisation u. Evolution in der Biologie, später gegen Neuentwicklungen in der Medizin), gegen ökumenische Gespräche u. gegen ethischen Liberalismus, politisch rechtsgerichtet. Der F. breitete sich international aus, besonders in englischsprachigen Bereichen u. dort, wo ev. Christen in der Minderheit waren. Weniger aggressiv militante Formen mit fundamentalistischen Tendenzen versuchten, sich von diesem F. abzugrenzen u. nannten sich ”evangelikal“ (Bekenntnisbewegung ”Kein anderes Evangelium“). – Seit den 70er Jahren des 20. Jh. wird der Begriff F. ausgeweitet auf verschiedene Mentalitäten u. Gruppen bei Menschen unterschiedlicher Religionen u. Weltanschauungen. Einige gemeinsame Grundzüge: Ein Absicherungsbedürfnis aus Angst u. Ich-Schwäche führt zu sklavischer Abhängigkeit von Führerpersönlichkeiten; zu Verneinung von Gewissensfreiheit, Toleranz u. von Freiheit überhaupt; zu rigoroser Verteidigung enger moralischer Grundsätze (unter Fixierung auf den Bereich der Sexualität); zu Frontbildungen u. Konstruktion von Feindbildern (”Weltverschwörung“); zu völliger Gesprächsunfähigkeit. Der F. entspringt eindeutig psychopathischen Deformierungen. Er bildet kleinere geschlossene Gruppen mit ausgeprägtem Elite- u. Auserwählungsbewußtsein, deren Identität auf blindem Gehorsam, stereotyper Wiederholung von Formeln u. Vorlieben für starre Rituale beruht. Solche Ausprägungen des F. finden sich außer bei den Genannten in der kath. Traditionalistenbewegung, bei Juden u. Muslimen, bei indischen u. japanischen Religionsanhängern, in den meisten Sekten. Wo zu weitgehende gesellschaftliche Toleranz herrscht, die Recht u. Sicherheit gegen Fanatismus nicht zu schützen weiß, ist dieser F. bereit zur Gewaltanwendung. Der religiöse F. gefährdet das friedliche Zusammenleben von Menschen innerhalb von Staaten u. auf internationaler Ebene.
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