Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Freiheit
   1. Philosophisch. Grundsätzlich (was nicht heißt: in jedem konkreten Einzelfall) ist derMensch von allem anderen in seiner Umwelt dadurch unterschieden, daß der Naturzusammenhang, in dem er existiert wie alles andere, ihn im Vollzug seines menschlichen Wesens nicht durchgängig u. restlos determiniert. Das heißt: Er ist ins ”Offene“ gesetzt; es ist ihm aufgegeben, selber die verschiedenen geschichtlichen Möglichkeiten zu verwirklichen (durch Wahl der Lebensform, des Berufs, durch Arbeit usw.) u. darin seine Wesensausprägung zu finden, zunächst individuell, dann aber auch als Beitrag zur Verwirklichung der Gattung Mensch. Verzicht auf diese Aufgabe wäre Verzicht auf die F., wäre Verzicht auf ein Wesenskonstitutivum dessen, was Mensch bedeutet, u. wäre letztlich Selbstaufgabe. So sieht sich der Mensch (grundsätzlich) vor der Pflicht, diesen Auftrag zur personalen F. zu übernehmen. Darin ist eine ”positive F.“ begründet, die F. ”zu etwas“ (”zu jemandem“), die ihrerseits eine ”negative F.“ mit sich bringt, nämlich die freie Möglichkeit des Menschen, dies oder das zu tun, dies oder jenes zu unterlassen. Im Vollzug seiner jeweils individuell-personalen F. trifft der einzelne Mensch auf andere freie ”Selbständigkeiten“, die sich gegenüber seinen eigenen Absichten öffnen oder verschließen können. Dadurch kann nicht die F. desMenschen selber, wohl aber der Freiheitsraum u. so die Objektivierung der F. eingeschränkt werden. – Die erste ins Einzelne gehende Analyse der menschlichen F. stammt von Aristoteles († 322 v.Chr.). Er führte sie auf den Willen zurück, für dessen Aktualisierung in F. er das Fehlen von Zwang u. die Kenntnis der Umstände einer Handlung verlangte. Die Aktualisierung des Willens in einem vorsätzlichen Tun beruht auf einer Entscheidung, die er als Selbstbestimmung der menschlichen Vernunft ansah. Die Stoische Philosophie war um die innere F. (von Affekten) bemüht. Nach Thomas von Aquin († 1274) ist der Mensch innerhalb der Schöpfung dadurch ausgezeichnet ist, daß er Person mit den beiden geistigen Grundkräften Verstand u. Wille ist. Er thematisiert die F. in der Reflexion über die freie Entscheidung (”liberum arbitrium“); daß der Wille von äußerem Zwang frei sein muß, ist für ihn selbstverständlich; eine innere Notwendigkeit ist dadurch gegeben, daß der menschliche Wille notwendigerweise das Glück des Menschen will. Von der Entscheidung zum Glück kann der Mensch sich enthalten; entschließt er sich aber zu ihr, dann nimmt er eine Güterabwägung vor, u. insofern bleibt der Wille auch hinsichtlich des notwendig angestrebten Glücks noch frei. Im Skotismus wird die F. als Wille zur Selbstbestimmung u. nicht mehr als natürliches Glücksstreben aufgefaßt. In der Neuzeit wird die F. in Zusammenhang mit der Kausalität gebracht. Für I. Kant († 1804) ist F. negativ bestimmt durch die Unabhängigkeit von fremden Ursachen, die sie bestimmen; positiv ist sie Autonomie (Selbstgesetzlichkeit, die sich auch gegen das Gesetz der Vernunft wenden kann) u. heißt ”transzendentale F.“ Im Unterschied dazu kann die ”psychologische F.“ durch innere Gründe u. Bestimmungen, die aus der Vergangenheit stammen, eingeschränkt sein. Die neuere Philosophie neigt unter dem Eindruck der psychologischen Erkenntnisse zum Determinismus .   2. Biblisch. Das AT beschreibt konkret Freiheitssituationen: Das grundlegende Ereignis der Befreiung durch den Exodus, die menschliche Verantwortung vor Gott, die unterschiedliche Situation von Sklaven u. Freien, die von Gott in der neuerlichen Unterdrückung erhoffte Befreiung. Die F. des Menschen in einem philosophischen Sinn scheint zuweilen durch das Einwirken der Allmacht Gottes eingeschränkt zu sein. Im NT hält sich Jesus im Rahmen der konkreten Umschreibungen der F. Von Paulus stammt eine Theologie der F., die sich der Befreiung von den personifiziert gedachten Mächten des Gesetzes, der Sünde u. des Todes zuwendet. Diese F. ist durch Jesus Christus erwirkt worden u. wird dem Menschen durch den Heiligen Geist, durch die Rechtfertigung im Glauben geschenkt (Röm 8, 21; Gal 5, 1 13; 2 Kor , 18). Paulus muß gegenüber der Meinung, seine Botschaft der F. bedeute Einverständnis mit ethischer Zügellosigkeit, auf die Liebe hinweisen, die dem Ausleben der F. Grenzen setzt (1 Kor 8, 7–13; Röm 1, 8 f.; 14, 15–19). Die Wahrheit Jesu Christi macht nach Joh 8, 32 frei. Von dem ”vollkommenen Gesetz der F.“ spricht Jak 1, 25.
   3. Theologiegeschichtlich-systematisch. Die Kirchenväter der ersten Jhh. verteidigten die F. des Menschen gegen die antike Auffassung von der Fremdbestimmung durch das Schicksal. Augustinus († 430) hielt theoretisch am Willen als menschlichem Grundvermögen u. damit an der F. fest, sah sie aber faktisch durch die Sünde ohnmächtig gemacht; die Rettung desMenschen erfolgt durch die Alleinwirksamkeit der Gnade Gottes (Pelagianismus). Die mittelalterliche Auffassung von der F. war einerseits durch die philosophische Konzeption der beiden Grundvermögen der Person, Verstand u. Willen, u. anderseits durch die Auffassung, daß eine positive, für das Heil relevante Entscheidung der Gnade Gottes bedürfe, bestimmt. Die Ausrichtung des Willens auf das umfassende Gute einschließlich des Glücks ist bei Thomas von Aquin († 1274) eine vonGott als Schöpfer bewirkte, von Zwang freie ”Wahlfreiheit“, die sich durch das Vernunfturteil vor mehreren Möglichkeiten sieht u. sich spontan entscheidet. Nachdem der Humanismus (Erasmus von Rotterdam †1536) die Wahlfreiheit als willentliche Fähigkeit, sich dem ewigen Heil zuwenden oder sich von ihm abwenden zu können, bestimmt hatte, betonte M. Luther († 1546) in seiner Sicht vom knechtischen Willen (”servum arbitrium “), daß ein Mensch nicht imstande ist, sich mit willentlicher Entscheidung positiv (”gerechtmachend“) Gott zuzuwenden (ethische Verantwortung u. Entscheidungsfähigkeit in weltlichen Angelegenheiten leugnete er nicht). Seine Auffassung von der göttlichen Allmacht bedeutete faktisch hinsichtlich des Gottesverhältnisses die Bejahung einer Alleinwirksamkeit Gottes. Die Antwort des Konzils von Trient bejahte die Notwendigkeit der göttlichen Gnade zu jedem Heilshandeln des Menschen, sah aber in der Rechtfertigung die Befreiung der (durch die Sünde geschwächten, aber nicht völlig aufgehobenen) menschlichen F. zu einem positiven Freiheitshandeln vor Gott, bei dem nicht von einem Zusammenwirken zweier gleichartiger Kräfte, Gott u. Mensch, die Rede sein kann (Synergismus). In der nachtridentinischen kath. Theologie spielte die Freiheitsthematik im Verhältnis von Gnade u. F. eine bedeutende Rolle, ohne daß eine wesentliche Klärung erreicht worden wäre (Gnadensysteme; Natur und Gnade ). – In systematischer Sicht ist F. eine transzendentale Eigentümlichkeit des Seins überhaupt, die einem Seienden imMaß seiner ”Seinshöhe“ zukommt, u. ist dort F. im vollen Sinn, wo die ”Seinshöhe “ der geistigen Person erreicht ist. Dort ist F. die selbstverantwortliche Selbstverfügung, u. das gerade auch Gott selber gegenüber, weil die Abhängigkeit von ihm (anders als bei innerweltlicher Ursächlichkeit) gerade die Begabung mit freiem Selbstand bedeutet. Diese geschaffene F. ist in der faktischen Ordnung gewollt als die Ermöglichung der personalen freien Selbstmitteilung Gottes an freie Partner in einem beiderseits freien Dialog. Ein vomWesen der Liebe Gottes u. der dafür notwendigen Partner her entwickelter Begriff der existentiellen Wahlfreiheit als wesenhafter Würde der Person bildet die Grundlage für die Lehre von der richtig verstandenen Gewissensfreiheit (Gewissen), vom Recht auf den nötigen ”Raum“ zur konkreten Realisation der F. gegenüber aller zwanghaften Aufhebung oder ungebührlichen Einschränkung dieses Raumes durch gesellschaftliche Mächte des Staates u. der Kirche (Toleranz, Emanzipation) . Freiheit Gottes. Die biblischen Offenbarungszeugnisse sprechen von Gott als dem absolut freien Schöpfer, dessen Verhältnis zu seiner Schöpfung u. insbesondere zu den Menschen allein von seinem souveränen freien Willen bestimmt ist (ein zusammenfassender Ausdruck: ”Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, u. wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich“ Ex 3, 19). Die Einsetzung der Menschen in ihre Freiheit u. Verantwortung bedeutet keine Einschränkung der F. G. Die Selbstbindung Gottes in Bundestreue, ja Liebe (Hos 11 u. ö.) geht ebenfalls auf seinen freien Willen zurück. In seiner Freiheit ist Gott nicht berechenbar u. begreiflich (Verborgenheit Gottes , Unbegreiflichkeit Gottes ), so sehr menschliches Bemühen der Ergründung seines ”Heilsplanes“ (der ”Heilsökonomie“) gilt. In dieser Sicht der F. G. stimmt das NT vollkommen mit dem AT überein. In der Theologiegeschichte der alten Kirche gehörte die F. G. zu den selbstverständlichen Glaubensinhalten, doch entstand mit den Axiomen von der Einfachheit u. Unveränderlichkeit Gottes eine Art metaphysischer Festlegung der göttlichen Freiheit. Die mittelalterliche Theologie bedenkt die F. G. vor allem im Zusammenhang mit der Erkenntnis von Verstand u. Willen als den zwei Grundvermögen des personalen Geistes, wobei Thomas von Aquin († 1274) die Impulse der F. G. aus dem Intellekt hervorgehen läßt, während Johannes Duns Scotus († 1308) sie auf den als Liebe verstandenen Willen zurückführt. Wilhelm von Ockham († 1349) betont die F. G. in der Setzung des Kontingenten (Ockhamismus). Die Neuzeit kommt durch die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich der Kausalitäten innerhalb der Schöpfung zu der Frage, inwieweit die F. G. in ihren Einwirkungsmöglichkeiten nicht begrenzt sei. G. W. Leibniz († 1716) nahm an, daß Gottes Wesen als absolute Güte ihn genötigt habe, die bestmögliche Welt zu erschaffen. G. W. F. Hegel († 1831) charakterisierte die absolute Freiheit durch die Möglichkeit, im Anderen seiner selbst bei sich selber sein zu können, u. nahm von da aus die Notwendigkeit einer Verwirklichung dieser Möglichkeit (Selbstvermittlung Gottes im Geschichts- u. Weltprozeß) an. Gegen die Auswirkungen dieser Auffassung auch in der Theologie äußerte sich das I. Vaticanum verbindlich zur völligen F. G. bei der Verwirklichung des Nichtgöttlichen. Die gegenwärtige Theologie sieht sich vor der Aufgabe, über die F. G. angesichts der unbezweifelbaren Freiheit des Menschen u. insbesondere angesichts der menschlichen Freiheit, die Selbstmitteilung Gottes anzunehmen oder sich ihr zu verweigern (die existieren muß, wenn die Appelle an Glauben u. Verantwortung einen Sinn haben sollen), nachzudenken. Kommt durch die Existenz der menschlichen Freiheit eine Selbstbegrenzung der F. G. in den Blick, so legt sich auch der Gedanke nahe, daß die unbedingte Treue u. Liebe Gottes in seinem Heilswillen eine weitere Einschränkung der F. G. bedeuten könnten; beide Male würde es sich natürlich wie auch bei der Schöpfung nicht um innere oder äußere Nötigung, sondern um völlig freie Selbstbeschränkung handeln. Die unleugbaren Gesetzmäßigkeiten der evolutiv konzipierten Schöpfung lassen weiter die Frage aufkommen, inwieweit von der aktiven Realisierung der F. G. bei seiner Mitwirkung u. Vorsehung gesprochen werden kann. Die genannten Probleme weisen auf die Notwendigkeit hin, auch bei der F. G. die Analogie jeder Gottesrede ernst zu nehmen u. nicht die menschliche Wahl- u. Entscheidungsfreiheit zum Maßstab der göttlichen Freiheit zu machen. Ein ernstes Problem der gegenwärtigen Theologie stellt die tritheistische Versuchung dar, den drei ”Personen“ in Gott jeweils eigene Freiheit in innergöttlichen Beziehungen u. im Wirken nach außen zuzuschreiben (Trinität) .
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