Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Evolution
   (lat. = Entwicklung) ist ein Begriff für den Werdecharakter u. die Selbstorganisation der von Gott verschiedenen Wirklichkeit. Ein dynamisches, ”prozessuales“ Verständnis der Wirklichkeit trat bereits in der Stoischen Philosophie u. seither immer wieder in der Geschichte der Philosophie auf. Wo Gott mit Notwendigkeit in ein innerweltliches u. innergeschichtliches Geschehen eintritt (wie bei G. W. F. Hegel †1831) oder mißverständlich gesagt wird ”Gottes Sein ist im Werden“, entstehen Konflikte mit der jüdisch-christlichen Gottesüberlieferung. Die gewaltigen Katastrophen u. Verbrechen, die die Menschheitsgeschichte prägen u. die das Theodizee-Problem unlösbar machen, verbieten es, die Geschichte in evolutionärem Optimismus als Fortschritt zu interpretieren. Eine umfangreiche naturwissenschaftliche u. naturphilosophische, bis heute nicht abgeschlossene Diskussion, die auch die Theologie nachhaltig beschäftigt, entstand mit Ch. Darwins († 1882) Versuch, die Entstehung u. Veränderung von Lebewesen kausal zu erklären. Die Theorie der Deszendenz (lat. = Abstammung) ist als generelles Verständnismodell allgemein akzeptiert, doch ist sie nicht imstand, alle vorkommenden Änderungen zu erklären u. auf eine gemeinsame Wurzel zurückzuführen. Die Entstehung des Lebens wohl vor 4 Milliarden Jahren konnte nicht erklärt werden; Organismenbereiche haben sich unabhängig von einander entwickelt; Darwins Theorie der Selektion (lat. = Auswahl) als Ursache von Artveränderungen mittels der am besten ”angepaßten“ Individuen ist z.T. durch die Forschung widerlegt (in ethischer Sicht führt sie zur Leugnung des Unterschieds zwischen Mensch u. Tier u. zu Rassismus). Das evolutive Verständnis der Entstehung der heutigen Menschen (”homo sapiens“) aus phyletisch verwandten Tieren rief im 19. Jh. heftige Abwehr kirchlicher u. theol. Kreise aller Konfessionen hervor, z.T. wegen eines buchstäblichen Verständnisses der biblischen Schöpfungserzählungen (Schöpfungsmythen), z.T. wegen der propagandistischen Verwendung der Evolutionslehre durch den vulgären Materialismus. Im 20. Jh. erfolgte eine vorsichtige Annäherung an unbestreitbare naturwissenschaftliche Erkenntnisse. P. Teilhard de Chardin († 1955) konnte seine evolutionsoptimistische Sicht zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlichen. Er beeinträchtigte die Verständigung mit Naturwissenschaftlern durch mystische Interpretationen (”Christozentrik “ der E., der Christus-Evolutor als Treibkraft u. Ziel des expandierenden u. konvergierenden Universums). Eine gewisse Vereinbarkeit der Theorie der E. mit der Schöpfungslehre konstatierte Pius XII. († 1958) mit Vorbehalten hinsichtlich des Monogenismus u. der Erschaffung der einzelnen menschlichen Seele. Einen namhaften Beitrag zu einer Naturwissenschaft u. Theologie versöhnenden Auffassung der Hominisation leistete K. Rahner († 1984) mit seiner Theorie der Selbsttranszendenz, die mit der ”Selbstorganisation“ in der naturwissenschaftlichen Evolutionslehre nah verwandt ist. Während der Fundamentalismus jeder Annäherung an die E. heftigen Widerstand leistet, vertrat das II. Vaticanum eine generall fortschrittsoptimistische Sicht (GS 5 ), bei der die geschaffenen Wirklichkeiten evolutiv verstanden werden. Der notwendige Dialog von Naturwissenschaften und Theologie bezieht sich heute eher auf einzelne Themenbereiche (Gehirn, Seele, Bewußtsein; ”evolutionäre Ethik“ u. Verhaltensforschung) als auf Evolutionstheorien.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Evolution