Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Eschatologie
   (griech. = die Lehre vom Letzten).   1. Begriff u. Traktat. Ausgehend von der biblischen Mahnung, bei allem Tun das Letzte (griech. ”ta es-chata“) zu bedenken (Sir 7, 36), wurde im 17. Jh. der Begriff E. für das Lehrstück der Dogmatik geprägt, das auch ”Lehre von den Letzten Dingen “ hieß u. das sich mit der Zukunft u. der Vollendung der einzelnen Menschen u. der Schöpfung im ganzen befaßt. In diesem Sinn spricht auch die Religionsgeschichte von E. In der soziologischen, politologischen u. philosophischen Futurologie wird der Begriff E. gelegentlich ebenfalls verwendet; er meint dann die Erforschung der wissenschaftlich prognostizierbaren Möglichkeiten der Geschichte, ohne eine Vollendung in Betracht zu ziehen. In den Glaubensbekenntnissen wird die christliche Erwartungs- u. Hoffnungshaltung ausgesprochen im Hinblick auf das (Wieder-) Kommen Jesu als Richter über Lebende u. Tote (Parusie), auf die Auferstehung der Toten u. das Ewige Leben . In der alten Kirche wurden die einzelnen biblischen Aussagen, außer denen über die genannten Themen auch diejenigen über Tod, Himmel, Hölle, Seele, Leib, Ewigkeit u. die über das katastrophische Ende der Welt eingehend, aber isoliert behandelt. Einige wenige Theologen brachten ihre geschichtstheologischen Überlegungen in eine systematische Gestalt (Irenäus von Lyon † um 202: Anakephalaiosis; Origenes † 253: Origenismus; Augustinus †430: Augustinismus). Da die biblischen Zeugnisse vielfach als relativ dürftig empfunden wurden, fanden außerbiblische Texte über Jenseitsreisen u. Visionen große Aufmerksamkeit. Die Beschäftigung mit den Einzelthemen der E. geschah im Horizont des als selbstverständlich hingenommenen antiken Weltbildes, das mit dem ”Himmel“ oben als der Wohnstätte Gottes u. dem Versammlungsraum der Seligen sowie mit der Unterwelt als der unterirdischen Strafhölle rechnete. Diese ”Jenseitsgeographie“ erleichterte die Auffassung, die Zukunft bestehe aus letzten ”Dingen“. Die biblische Naherwartung verband sich mit der bei Kirchenvätern geläufigen Theorie, der Kosmos sei alt u. erschöpft u. stehe deshalb vor seinem Ende, eine Meinung, die Weltflucht u. -verachtung begünstigte u. dazu beitrug, daß die Geschichte nur als Ort der Prüfung u. Bewährung, um in den Himmel zu kommen, aufgefaßt wurde. Die mittelalterliche Theologie kam über die Sammlung u. Kommentierung biblischer Einzelthemen zur E. kaum hinaus. Kirchenamtliche Stellungnahmen betrafen den Chiliasmus u. das Schicksal der menschlichen Seele sofort nach ihrem Tod. Eine kath. Sonderlehre wurde beim Thema des Fegfeuers entwickelt. Auch die Theologie der Reformatoren fand noch nicht zu einem systematischen Traktat der E. Die Anfänge eines solchen finden sich in der ev. Theologie bei F. Schleiermacher († 1834), in der kath. Theologie vor allem in der Tübinger Schule des 19. Jh., wobei die Einflüsse G. W. F. Hegels († 1831) mit seinem Bedenken des zielgerichteten Geschichtsprozesses u. seiner Vollendung nicht zu verkennen sind; von da an wurde das Zentralthema Jesu, die Herrschaft Gottes , das durch Jahrhunderte von der Himmelssehnsucht verdrängt worden war, wieder theologisch relevant. Allerdings blieb der Traktat ”De novissimis“ (über die letzten Dinge) in der kath. neuscholastischen E. bis in die 2. Hälfte des 20. Jh. eine jenseitsorientierte Sammlung einzelner Lehrstücke, bei der Bibeltexte als Informationsmaterial benützt wurden.
   2. Erneuerung der E. Entscheidende Veränderungen der kath. E. sind H. U. von Balthasar († 1988) u. K. Rahner († 1984) zu verdanken. Bei den Bibeltexten unterschied von Balthasar zwei nicht miteinander vereinbare Aussagereihen, die mit Drohungen einer ewigen Verwerfung arbeitende u. die Hoffnung stiftende. Dementsprechend teilte sich für ihn die E. in eine solche der Hoffenden (mit Origenes als großem Impulsgeber) u. in eine solche der Wissenden (angeführt von Augustinus). In seiner Geschichtstheologie kam von Balthasar, christologisch u. soteriologisch begründet, einer Apokatastasis sehr nahe. Die Redeweise von den ”letzten Dingen“ wollte er verändert sehen in das Bedenken der ”letzten Begegnungen“, nämlich mit dem erbarmungsvoll richtenden, läuternden u. rettenden Gott. Rahner verwies auf die Notwendigkeit einer Hermeneutik biblischeschatologischer Aussagen, bei denen es sich nicht um vorausschauende Reportagen des noch ausständigen Kommenden handle, sondern um Ansagen der ”je jetzt“ gegebenen Situation u. der in ihnen liegenden, auf die Zukunft gerichteten Möglichkeiten. Die humanisierende Arbeit an der innerweltlichen Zukunft wird, im Zeichen der Einheit von Gottes- u. Menschenliebe, als eigentlich religiöse Aufgabe verstanden, bei der in der fortschreitenden Befreiung (Emanzipation) vonMenschen eine glaubend-hoffende Offenheit für das Ankommen einer anderen, der endgültigen, ”absoluten “ Zukunft, die Gott selber ist, verwirklicht wird. Die Arbeit an der innerweltlichen Zukunft ist so unabdingbare Voraussetzung der Vollendung, führt diese von sich aus aber nicht herbei. Die Vollendung (das Eintreten der Menschen u. des von ihnen Erwirkten in den Zustand der Endgültigkeit) bleibt unter dem ”eschatologischen Vorbehalt“ Gottes. Die neuere Politische Theologie stellt die Fragen, ob die Menschheitsgeschichte tatsächlich unter dem Vorzeichen eines evolutiven Fortschritts stehe oder ob die Menschheit nicht imstand sei, Gottes Absichten mit der Schöpfung zerstörerisch zu durchkreuzen. Jedes theol. Nachdenken über die Zukunft muß ihrer Meinung nach die Erinnerung an die Opfer der Geschichte u. die Leidenden einbeziehen; die christliche Verantwortung für eine rettende Zukunft soll im Zeichen apokalyptischer Naherwartung unter Handlungsdruck gesetzt werden. In der ev. Theologie ist außer dem konstanten Nachwirken Schleiermachers ein Neuansatz der E. bei K. Barth († 1968) zu registrieren, in dem allein die Begegnung des Menschen mit dem ”ganz anderen“, transzendenten Gott von Bedeutung ist u. die biblischen Ansagen sowohl zum Reich Gottes als auch zum Weltuntergang nur noch zum Protest gegen den Kulturprotestantismus taugen. R. Bultmann († 1976) war derjenige, der die ”präsentische“ johanneische E. wieder zur Geltung brachte u. die zeitliche Zukunft für unerheblich erachtete. Jeden Augenblick könne das Kerygma den Sünder treffen, so daß er für ihn zum eschatologischen Augenblick werde, den es wahrzunehmen gelte. Die ev. Politische Theologie protestierte gegen diese extrem individualisierende, sich der Welt- u. Zukunftsverantwortung verweigernde Sicht. Ungeachtet der Beobachtung, daß die Verheißungen des AT durch Jesus Christus keineswegs völlig u. universal ”erfüllt“ sind, sondern jede teilhafte Erfüllung einen Verheißungsüberschuß zutage treten läßt, stellt sich ein Teil der ev. E. unter das Vorzeichen einer radikalen Christozentrik. Das führt z.B. bei W. Pannenberg dazu, von einer Antizipation der verheißenen Zukunft in Jesus Christus zu sprechen u. das Geschichtsgeschehen von da her verstehen zu wollen, ungeachtet dessen, daß ein vorweg ereignetes Ende ein Widerspruch in sich ist. – Das in vielfachen Bedeutungen auftretende Eigenschaftswort eschatologisch ist dann eindeutig, wenn es nicht für Voraussagen der Zukunft oder für apokalyptische Endzeit steht, sondern ein Verhältnis Gottes zu Schöpfung u. Menschheit u. die Offenbarung dieses Gottesverhältnisses als ”endgültig“ u. ”unüberholbar“ charakterisiert.
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