Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Erkennbarkeit Gottes
   In der Glaubenswelt der Bibel sprechen die Schönheiten der Schöpfung u. die Erfahrungen mit dem lebendigen Gott (in behütender Führung u. im Gericht) so deutlich von seiner Existenz, daß sich die theoretische Frage nach der E. G. erst zögernd, vielleicht von hellenistischer Skepsis provoziert, einstellt. Für die Sprache des AT ist der Zusammenhang von Erkennen u. Lieben von größter Bedeutung.Wichtige Bezugsstellen für die Frage nach der E. G. sind Weish 1, 1–9 u. Röm 1, 18 ff., wo von den eindrucksvollen Werken der Schöpfung aus der Rückschluß auf den Schöpfer nahegelegt wird. Vom Suchen u. der Verehrung des unbekannten Gottes in Athen spricht Apg 17, 22–28. In der älteren theol. Tradition wurde die E. G. nur selten Gegenstand einer eigenen Erörterung; erst Thomas von Aquin († 1274) entfaltete eingehende Begründungen in seiner Theorie der Kausalität u. in seinen sog. Gottesbeweisen . So wurde das Thema der E. G. wesentlicher Bestandteil einer philosophischen Gotteslehre. Diese wurde von M. Luther († 1546) als Widerspruch zur Gnadenhaftigkeit des Glaubens abgelehnt (Natürliche Theologie ). In der neueren Zeit sahen die theol. Bestrebungen des Fideismus u. Traditionalismus alle religiöse Erkenntnis ausschließlich in der Wortoffenbarung Gottes u. darum im Glauben allein gegeben. Auf der anderen Seite wandte sich der Agnostizismus gegen eine E. G. Gegen beide Seiten wandte sich das I. Vaticanum mit der Lehre, daß Gott durch das ”natürliche Licht“ der Vernunft aus der geschaffenenWelt mit Sicherheit erkannt werden könne. Diese Lehre von einer ”natürlichen“ E. G. behauptet nicht, daß diese Erkenntnis von der Ganzheit der menschlichen Einstellung u. Haltung unabhängig sei, so daß sie von dieser her auch beeinträchtigt werden kann. Da eine Grundeinstellung immer auch ”von außen“ mitgeprägt ist, kann z. B. eine negative Erfahrung mit religiös gläubigen Menschen die E. G. verdunkeln. Die kirchliche Lehre gilt also nicht notwendig vom konkreten einzelnen Menschen in seinen individuellen u. sozialen Bedingtheiten u. Hindernissen. Vor allem leugnet die Lehre nicht, daß in der ”konkreten Ordnung“ von Sünde u. Gnade jede tatsächlich erreichte Gotteserkenntnis von der Gnade Gottes getragen ist. Sie besagt aber, daß ein Mensch es auch dann noch, wenn er sich dem Glauben verschließt, mit Gott zu tun hat. Die theol. Frage nach der E. G. kann sinnvoll nur im Zusammenhang mit dem umfassenden Verhältnis von Natur und Gnade erörtert werden. Praktisch u. positiv ist die E. G. mit positiven Erfahrungen verbunden, die, getragen von der Gnade Gottes, im Sinn der Bejahung der Existenz Gottes interpretiert werden. Auch im transzendentalen Weg des Denkens wird das Dasein Gottes nicht ”a priori“ entworfen; es handelt sich um eine nachträgliche Reflexion des Erkenntnisvorgangs, bei welcher der sich eröffnende umfassende Horizont, das im Unendlichen liegende Ziel des menschlichen Erkennens u. Wollens, das als sich entziehendes ”heiliges Geheimnis“ genannt wird, als der sich in Gnade erschließende Gott der Offenbarung interpretiert wird. DieserWeg führt durchaus über die Erkenntnis des Geschaffenen. Auf der Basis des Ur-Vertrauens, das ein Mensch (nicht jeder) schon als Kleinkind aufzubauen beginnt, können spätere positive Erfahrungen von Liebe, Schönheit, Trost, Treue, Harmonie usw. als Hinweise auf den erschaffenden u. geleitenden Gott interpretiert werden. Entsprechendes gilt vom Aushalten-Können in negativen Lebenserfahrungen, wobei der Glaube als Dennoch-Glaube verstanden wird. Ein Mensch, dem die Gründe nicht ausreichend zu sein scheinen, die Existenz Gottes zu verneinen, wird in den Erfahrungen der Dunkelheiten u. des Unverstandenen, auch des unerklärlichen Geliebtseins, einen Zugang zur Unbegreiflichkeit Gottes finden können. Bei allen positiven Wegen zur E. G. gilt, daß sie in den allermeisten Fällen nicht von einem Individuum allein gegangen werden, sondern mit Kommunikationsvorgängen in der Erzählgemeinschaft der Glaubenden verbunden sind. Daraus entsteht nicht Beweiswissen, aber die Gewißheit kann sich verstärken, sich bei der Interpretation des Wovonher u. des Woraufhin nicht zu irren.
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