Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Erfahrung
   heißt eine Erkenntnis, die ein Mensch dadurch gewinnt, daß er vonseiten einer inneren oder äußerenWirklichkeit, die seiner freien Verfügung entzogen ist, einem unmittelbaren Eindruck ausgesetzt ist. Darin unterscheidet sich E. von jener Erkenntnis, in der einMensch sich anderem aktiv handelnd zuwendet, es untersucht, prüft, die Erkenntnis in Experimenten wiederholt (Empirismus) usw. Zur E. gehört, daß ein Widerspruch gegen sie nicht möglich ist, weil die Gegenwart des Erfahrenen sich selber unwiderstehlich bezeugt. Daher eignet der E. eine ausgezeichnete Gewißheit (Evidenz). Heute werden die unterschiedlichsten Gefühlserlebnisse als ”religiöse E.“ bezeichnet (Gefühlsreligion). Zur religiösen Erfahrung in einem präzisen Sinn gehören sowohl die philosophische, ethische u. existentielle E. des Daseins u. des Seins als dessen Grundes als auch die E. der Selbstbezeugung Gottes im Gewissen (dieses verstanden als integrierendes Organ aller inneren u. äußeren existentiell bedeutsamen Erkenntnisse). Die religiöse E. schließt also die Transzendenzerfahrung in sich ein, in der ein Mensch sich selber intuitiv (in einer ”Ur-Erfahrung“) als verwiesen auf andere, auf Dinge u. Welt, als Subjekt seines Denkens u. Verhaltens vor dem Horizont des Ganzen wahrnimmt (Transzendenz) . Gnadenerfahrung meint dann eine religiöse E., in der sich die übernatürliche Wirklichkeit (Gnade) dem Menschen innerlich selbst bezeugt; sie ist dem einzelnenMenschen bzw. derMenschheit in ihrer Glaubensgeschichte nur zusammen mit einer begrifflichen Reflexion (sprachlichen Artikulation) möglich. Zwischen Gottes schöpferischem Gnadenwirken u. dessen begrifflicher Interpretation, die unter Umständen falsch sein kann, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit unterscheiden. Die (in theol. Sicht durch Gottes Gnade ermöglichte) Transzendenz des menschlichen Geistes auf Gott hin u. deren Berufung zur gnadenhaften Teilhabe am inneren Leben Gottes (durch Jesus Christus im Heiligen Geist) lassen sich in der Reflexion nicht eindeutig von einander abheben, weil Gott u. sein Wirken nie als vom kreatürlichen Denken isoliert erfaßt werden können. Darum gibt es trotz u. inmitten der Gnadenerfahrung keine Heilsgewißheit. Wenn bei dieser Sicht auf die Gotteserfahrung die Vermittlung durch menschliche Begegnungen u. Beziehungen vermißt werden sollte, dann ist theol. zu bedenken, daß Gottes Gnadenwirken wesentlich in den ”göttlichen“ Tugenden Liebe, Glaube u. Hoffnung geschieht. Sie sind von Gott geschenkt, ermöglicht u. getragen, sind aber gerade als solche auch echte Akte desMenschen. Von da her zeigen sich Möglichkeiten der Gotteserfahrung in der E. von Liebe, Versöhnung, Treue, Freude, Friede, Trost, Erleuchtung, Dankbarkeit.
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