Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Entmythologisierung
   ist eine einprägsame, aber sachlich nicht ganz richtige u. auch nicht authentische Bezeichnung für das Programm R. Bultmanns († 1976), das NT ”existential“ zu interpretieren, d. h. den jeweils heutigen Menschen so mit dem Kerygma zu konfrontieren, daß er sich von ihm unmittelbar betroffen, vor eine ”existentielle“ Entscheidung gestellt sieht. – Das Programm: Nach Bultmann gibt es Elemente im NT , die das Kerygma verdecken u. daher zu interpretieren oder zu eliminieren sind, mythologische Ausdrucksweisen in Aussagen, die dem historischen Jesus zugeschrieben werden (z. B. Menschensohn, Herrschaft Gottes ), u. Vermehrung solcher Mythologien in späteren Texten des NT (vor allem der Auferstehungs-Mythos), vor allem in hellenistisch geprägten Schichten (vor allem ein gnostischer Erlöser-Mythos). DieMythen im NT ”vergegenständlichen “ oder ”objektivieren“ Dinge, die den Menschen gar nicht angehen; sie verdecken dasjenige, was zur Entscheidung rufen will. Zusätzlich widersprechen sie der modernen Welterkenntnis: Sie behaupten, die Welt stehe für den Einbruch der Transzendenz offen (z. B. durch Wunder), während sie doch in Wirklichkeit ”geschlossen“ u. von den Naturwissenschaften erforscht ist. Mythologie wäre die Ansicht, das NT verkünde objektive, allgemein gültige u. heilwirkendeWahrheiten u. Geschehnisse. Die denMenschen angehende Botschaft des NT besage vielmehr: Jesus ruft zur Entscheidung zwischen Gott u. der vergänglichen Welt auf, u. zwar ist es dafür die ”letzte Stunde“, das entscheidende Jetzt “. Jesus starb am Kreuz in gehorsam-gläubiger Annahme seines Schicksals, so daß in seinem Sterben Gottes Gericht über den dieser Welt verfallenen Menschen erging, er hatte aber nieWunder an sich erfahren oder selberWunder gewirkt. Ebenso sind vom Menschen ”jetzt“ Glaube u. Entscheidung gegen Welt u. Sünde gefordert, ohne daß es für dieWahrheit des denMenschen anredendenWortes Gottes irgendeinen Beweis gäbe. Nach Bultmann nahm bereits das NT diese ”existentiale Interpretation“ vor, in verdeckter Gestalt dadurch, daß es widersprüchliche Mythen verwendete u. zeigte, daß die objektivierenden Vorstellungen nicht das eigentlich Gemeinte sind (wie z. B. die ”präsentische Eschatologie“ als Entscheidung gegen die je jetzigeWelt im Joh-Ev. zeige). – Die Kritik hat aufgezeigt, daß das Kerygma des NT nicht nur Aufruf zur Entscheidung, sondern auch Mitteilung des ”objektiven “ Christusereignisses ist. Zudem wird Bultmanns Begriff der Transzendenz der apriorischen transzendentalen Verfaßtheit des Menschen nicht gerecht. Bultmanns Programm führe zu einem grundlos paradoxen Glauben. Außerdem dürften Welt u. Geschichte nicht in so radikalem Dualismus verurteilt werden, wie das bei Bultmann der Fall ist, wobei nicht genügend berücksichtigt ist, daß Gott selber diese Wirklichkeit bleibend zu eigen angenommen hat. Damit ist der echte Erkenntnisgehalt des Programms nicht bestritten: Die Bibel gibt die mythischen Vorstellungen über Welt u. Mächte aus der Zeit ihrer Entstehung wieder. Die Offenbarung Gottes garantiert diesemythischen Vorstellungen nicht; Theologie existiert gerade wegen der Aufgabe, danach zu fragen, was überlieferte Sätze ”eigentlich“ sagen wollen u. was nicht. Überdies ist neu zu bedenken, ob es nicht Sachverhalte gibt, die in ihrem ganzen Umfang, in allen die Menschen ”angehenden“ Aspekten, notwendigerweise in Metaphern, Bildern u. auch Mythen ausgesprochen bzw. erzählt werden müssen, während die Abstraktbildungen die ”Hörer des Wortes“ eher nicht ”existentiell“ betreffen. – Mythos .
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Entmythologisierung