Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Bußsakrament
   1. Biblischer Hintergrund. Das B. entstand aus dem Verhalten der kirchlichen Gemeinschaft gegenüber dem schweren Versagen von Mitchristen. Seine Existenzform in der alten Kirche wird als ”öffentliche Buße“ oder, wegen der Formulierung der Verfahrensregeln, als ”kanonische Buße“ bezeichnet. Die ältesten Zeugnisse aus paulinischen Gemeinden waren von dem Bestreben motiviert, die Gemeinde vom Bösen reinzuhalten; dies wurde auf demWeg einer Distanzierung (eines Ausschlusses unter bewußter Anknüpfung an der jüdischen Praxis, 1 Kor 5, 9 ff. mit Dtn 19, 5; Bann) versucht. Reuige Sünder wurden, ebenfalls nach Paulus, wieder aufgenommen. Ausdrückliche Bezugnahmen auf neutestamentliche Texte für dieses Bußverfahren sind zu Beginn des 3. Jh. bezeugt: Klassische Belege für die Herkunft des B. von Jesus (in der kath. Dogmatik bis heute) sind das Binden und Lösen (Mt 16, 19; 18, 18) u. das Nachlassen u. Behalten der Sünden (Joh 20, 23 den Jüngern, d. h. dort der Gemeinschaft der Glaubenden, zugesagt).   2. Zur Geschichte des B. a) Diekanonische Buße “. Die kirchliche Bußpraxis ist von der Wende zum 2. Jh. an bezeugt, relativ früh die Tendenz, die wesentlichen liturgischen Funktionen für Amtsträger zu reservieren; die ”Vollmacht“ der Absolution bei den Bischöfen seit Beginn des 3. Jh. Theol. Hintergrund: Der Ausschluß von den Lebensvollzügen der Kirche hat Unheilsbedeutung für einen Menschen, der Friede mit der Kirche ist für ihn heilsrelevant. Bis zur 3. Synode von Toledo 589 sprechen die Zeugnisse von nur einer einzigen Bußmöglichkeit. Gegen die rigorosen Bußauffassungen des Montanismus u. Novatianismus setzt sich seit dem 3. Jh. die mildere Auffassung durch, daß alle schweren Sünden, auch Glaubensabfall, Mord u. Ehebruch, die als die schwersten Sünden galten, vergeben werden können, doch müssen alle Sünden, auch die ”geheimen“ durch Kirchenbuße getilgt werden. In den westlichen Kirchen werden für die ganze Lebenszeit nach der offiziellen Versöhnung (Rekonziliation) grausame Dauerfolgen (Verbot des Ehevollzugs auf Lebenszeit, Berufsverbote usw.) verordnet; dadurch sollen die Echtheit u. Beständigkeit der Umkehr erwiesen werden. Als Folge wird das Bußverfahren, sogar durch synodale Regelung, in das hohe Alter bzw. auf das Sterbebett verschoben. In den östlichen Kirchen setzt sich seit dem Aufkommen des Mönchtums immer mehr die individuelle Beicht bei einem Seelenführer durch, der nicht unbedingt einer Weihe bedurfte. – b) DieTarifbuße“. Vom 6. Jh. an ändert sich im irisch-angelsächsischen Kirchenbereich die Bußpraxis: Eine wiederholte Beicht mit Absolution durch den Priester, nicht nur durch den Bischof, ist nun, unter Einbeziehung auch leichter Sünden in das Bekenntnis, an jedem beliebigen Tag des Jahres möglich. Die schweren Bußauflagen zur Bewährung blieben zunächst bestehen, konnten aber bald ”verwandelt“ werden (in Geldspenden, angehäufte Gebete, Bußübungen usw.). Diese neue Bußpraxis kam mit dem iroschottischen Mönchtum auf das Festland, wo sie nach dem Erweis der Bußbücher mit ihren Listen der Bußauflagen im 8. Jh. überall verbreitet war (”Tarifbuße“). Trotz kirchenamtlichen Widerstands hatte sich das neue Bußverfahren mit der ”Privatbeicht“ um das Jahr 1000 durchgesetzt. Um möglichst viele Gläubige seelsorglich zu kontrollieren, verordnete das IV. Laterankonzil 1215: Jeder Gläubige in den ”Jahren der Unterscheidung “ (von Gut u. Böse) hat wenigstens einmal im Jahr alle seine Sünden zu beichten. – c) Die scholastische Bußtheologie. Seit dem 12. Jh. wurde die Buße (”paenitentia“, aber zunehmend: Beicht, ”confessio“) zu den Sakramenten gerechnet. Bis Mitte des 13. Jh. galt die Auffassung, die von Gott geschenkte Reue tilge die Schuld, die Absolution zeige die Vergebung an. Von Wilhelm von Auvergne († 1249) an wurde eine neue Theorie eingeführt: Die Wirkung der priesterlichen Absolution bestehe in der Vergebung der Sünden bei Gott. Thomas von Aquin übernahm (mit Bonaventura, beide † 1274) diese Theorie, er lehrte allerdings, die wahre Reue tilge im voraus auch die schweren Sünden, wenn sie mit dem inneren Verlangen (Votum) nach dem Sakrament verbunden sei. (Zu weiteren Diskussionen: Attritionismus, Kontritionismus.) Diese Theorie wurde durch Johannes Duns Scotus († 1308) vereinfacht u. kirchenamtlich übernommen: Nicht durch die Reue, sondern allein durch die Gnadenmitteilung in der Absolution wird die Sünde getilgt. Nach Thomas besteht das sakramentale Zeichen in den Akten des Pönitenten (Reue, Bekenntnis, Genugtuung) als Materie, in der Absolution durch den Priester als Form. Für Duns Scotus sind die Akte des Pönitenten nur unerläßliche Voraussetzung des sakramentalen Zeichens; das Sakrament bestehe (ohne Nachdenken über eine Materie) allein im Richterspruch des Priesters. Damit mußten die kirchliche Dimension u. die liturgische Gestalt des Bußverfahrens endgültig in Vergessenheit geraten. – d) Das Konzil von Trient. Die Reformatoren hatten gelehrt, die Buße sei kein wirkliches u. eigentliches Sakrament; sündentilgendes Sakrament sei nur die Taufe; bei der Sündenvergebung gehe es nicht um Reue, Bekenntnis u. Genugtuung, sondern um den Schrecken aus dem Sündenbewußtsein u. um den Glauben aufgrund des Evangeliums; die contritio-Reue sei bloße Zerknirschung; die priesterliche Absolution sei nicht ein richterlicher Akt, sondern die Erklärung, dem Glaubenden seien die Sünden nachgelassen; eine Beichtpflicht bestehe nicht, die beste Buße sei ein neues Leben; Gott sei nicht durch Bußwerke zu versöhnen, die Genugtuungsleistungen könnten die einmalige Genugtuung durch Jesus Christus beeinträchtigen; die ”Privatbeicht“ sei nicht göttliche Stiftung, sondern zu vernachlässigende Vorschrift des IV. Laterankonzils; die Befähigung zur Absolution, d. h. zur Stärkung des Glaubens, komme jedem Christen zu; die Praxis der römischen Klirche, die Absolution mancher Sünden der höheren Instanz vorzubehalten (Reservation) u. die Erteilung von Befugnissen zur Absolution (Jurisdiktion) sei nicht rechtens. Mit diesen Lehren versuchten die Reformatoren in einem Bereich, der damals theol. frei diskutiert werden durfte, Mißstände in der Bußpraxis zu beseitigen u. den Glauben angesichts der Gefährdung durch magisch-mechanischeMißverständnisse besonders zu betonen. Das Konzil von Trient verabschiedete 1551 ein Lehrkapitel u. 15 Canones zum B., mit den wesentlichen Inhalten: Die Buße ist ein wirkliches u. eigentliches, von Jesus Christus ”eingesetztes“ Sakrament, um Getaufte, so oft sie gesündigt haben, mit Gott zu versöhnen (was ”Einsetzung“ durch Jesus Christus bedeutet, wird nicht erklärt u. bleibt unterschiedlicher Interpretation zugänglich). Die Worte Joh 20, 22 f. sind vom B. zu verstehen. Drei Akte des Büßenden, Reue, Bekenntnis u. Genugtuung, sind die Quasi-Materie des B. u. zur vollkommenen u. vollständigen Nachlassung der Sünden erforderlich. Das sakramentale Bekenntnis ist nach ”göttlichem Recht“ eingesetzt; das geheime Bekenntnis vor dem Priester allein, das von der kath. Kirche von Anfang an stets beobachtet worden sei (eine historische Behauptung, für die das Konzil nicht kompetent war), entspreche der Einsetzung u. dem Auftrag Jesu Christi u. sei keine menschliche Erfindung. Nach ”göttlichem Recht“ sei es notwendig, zur Vergebung der Sünden im B. alle Todsünden einzeln zu bekennen, deren man sich nach geschuldeter u. sorgfältiger Erwägung erinnere (nach historischer Forschung wird damit kein Dogma aufgestellt, sondern eine Disziplinarvorschrift mit dem ”Anathema“ geschützt). Es ist erlaubt, auch läßliche Sünden zu beichten. Die sakramentale Lossprechung durch den Priester ist ein richterlicher Akt, nicht bloß ein Dienst der Verkündigung u. Erklärung des Freigesprochenseins (womit aber kein Vergleich mit einem weltlichen Gerichtsverfahren ausgesagt ist: es kann als Gnadengericht Gottes verstanden werden). Weitere Lehren gelten der Jurisdiktion, der Wirkung der Genugtuung usw. – Die spirituellen u. praktischen Reformimpulse waren damit nur ungenügend aufgegriffen worden; auf die theol. Zentralfrage nach dem Glauben ging das Konzil nicht ein. – e) Weitere Entwicklung. Der wesentliche Ertrag einer umfangreichen Forschung erbrachte die Wiederentdeckung der ekklesialen Dimension des Bußverfahrens, aufgenommen vom II. Vaticanum (LG 11 ). Die bis Mitte des 20. Jh. allgemein verbreitete Beichthäufigkeit nahm infolge komplexer Ursachen radikal ab: Kirchliche Moral einseitig als Schuldmoral verstanden, Verängstigung bis zur Erzeugung von Neurosen (Skrupel, Selbstanklagen) durch willkürliche Konstruktion von ”Todsünden“, inquisitorische Verhöre, Inkompetenz der ”Beichtväter“ zu psychologischer Beratung u. zu echtem Beichtgespräch, Verlagerung der Schulderfahrungen vom Intimbereich auf das ”strukturelle Böse“, Eindruck bloß symbolischer Versöhnung im B. In dieser Krisensituation wurden ab 1947 Bußgottesdienste konzipiert.
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