Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Böse
   , das Böse ist ein kaum zu definierender Begriff, mit dem elementare, negative menschliche Erfahrungen charakterisiert werden. Diese Erfahrungen sind zu einem guten Teil subjektiv; sie sind nicht immer u. notwendig, aber sehr oft Leidenserfahrungen.   1. Sinnvoll ist es, das B. vom physischen Übel zu unterscheiden u. das Vorkommen des Bösen auf den ethischen Bereich zu beschränken. In ihm existiert einWertsystem, das höhere u. niedere Ziele umfaßt. Von ihm aus kann eine Entscheidung oder Handlung, in der das höhere Ziel bewußt hinter das niedere zurückgesetzt wird, als ”böse“ bezeichnet werden. Naturanlagen, die biologisch der Erhaltung der Art u. dem Überleben dienen u. sich u. a. in wenig oder gar nicht reflektierten Aggressivitäten äußern, werden mit Recht als das ”sogenannte B.“ bezeichnet. In der antiken Philosophie (Plotin † 270 n.Chr.) wurde das B. als Gefährdung des guten u. erfüllten Seins, als Negation u. als Privation (lat. = Minderung) u. als Phänomen der Entzweiung verstanden. Von da aus erklärte die christliche Philosophie (Augustinus † 430, Thomas von Aquin †1274) das B. als Mangel an Gutem. Der richtige Kern dieser Auffassung ist darin zu sehen, daß auch der böse handelndeMensch Gutes intendiert, das aber in einer eigenmächtig verkehrten Wertordnung (z. B. sich Gutes zudenkt, indem er einen Feind beseitigt u. dabei das höhere Gut, dessen Lebensrecht, zurücksetzt). Die schrecklichen Phänomene des Bösen (Auschwitz) führten dazu, diese ”privative Erklärung“ des Bösen als zu harmlos zu erkennen u. das B. wenigstens als bewußte u. ausdrückliche Verneinung des erkannten Guten zu verstehen. Wegen der rational kaum einsichtigen Begründung einer solchen Verneinung wird oft vom ”Mysterium des B.“ gesprochen.
   2. In theol. Sicht stellt sich als heute scharf gesehenes Grundproblem die Frage nach der Verantwortlichkeit Gottes für das B. Weisen die vorpersonalen physischen Übel (Krankheiten, Katastrophen, der Tod) auf Defekte der Schöpfung hin, so ist das moralische B. direkt auf Freiheitsentscheidungen der Menschen zurückzuführen, indirekt aber auf jenen Schöpfer, der die Kreatur Mensch als mit Freiheit begabte entstehen ließ. Die Auskunft, das B. u. die Übel seien der Preis dieser Freiheit, ist theol. kurzschlüssig, weil in theol. Sicht die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, daß Gott positiv auf die Freiheit einwirkt, ohne diese zu zerstören. Biblische Zuschreibungen des Bösen an Gott (Jes 45, 6 f.; die Ermordung der Menschen in der Sintflut, die Ermordung der ägyptischen Erstgeborenen usw.) lassen die Frage nach einer möglichen ”dunklen Seite“ Gottes aufkommen.
   3. Nach der Tradition des jüdischen u. christlichen Glaubens hat der eine u. einzige Gott keinen gleichrangigen Widersacher; kein böses Prinzip oder Urwesen steht immer schon dem Guten entgegen (Dualismus). Zur Entlastung des guten Gottes wird das B. mythologisch erklärt (Engelssturz) oder personifiziert (Teufel); diese sekundären Größen verführten Menschen zum Bösen Das freie Geschöpf Mensch verweigerte sich dem Anruf Gottes, der auch Weisungen enthielt, von Anfang an (Ursünde). Darin wird das Grundwesen des Bösen in theol. Sicht gesehen: Die hybride Absage der Geschöpfe an den göttlichen Schöpfer, die Weigerung, seine Lebensordnung u. damit das Existenzrecht anderer zu respektieren. Der Durchsetzung des Willens Gottes mit seiner Schöpfung diente das Angebot der Herrschaft Gottes in Jesus von Nazaret. Die Lebensordnung der Gottesherrschaft ist dank der zuvorkommenden Hilfe Gottes realisierbar, so daß Menschen dem Bösen widerstehen u. es durch das Gute überwinden können (Röm 12, 21). Ist das Reich Gottes auch nicht universal verwirklicht worden, so existiert es doch ”punktuell“ überall dort, wo die Macht der Gnade Gottes im kleinen u. im großen (im Kampf gegen das ”strukturelle B.“) sich durchsetzt u. die Schöpfung auf ihre Vollendung, in der Möglichkeit u. Wirklichkeit des Bösen vernichtet sind, hintreibt.
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