Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Besessenheit
   tritt als Vorstellung in allen Kulturen im Zusammenhang mit den Manifestationen geistiger Störungen u. krankhaft-abnormen Körperreaktionen auf u. besteht in der Meinung, böse Geister (Dämonen) seien in einenMenschen ”eingefahren“ u. hätten derart von ihm Besitz ergriffen, daß zuweilen sprachliche Äußerungen nicht mehr ihm, sondern dem Bösen zugeschrieben werden müßten. In diesem Sinn kommen Besessene auch in der Bibel vor. Als zerstörerische Folgen der B. werden Krankheiten, abstoßendes Verhalten, Gotteslästerungen angesehen. Die B. ist vom Teufel bzw. den Dämonen realisiert worden. Infolge dieser Auffassungen wurden die vermeintlich Besessenen gesellschaftlich ausgegrenzt u. der Verwahrlosung überlassen. Die Überwindung der B. liegt in der Macht Gottes u. der von ihm Bevollmächtigten. Nach übereinstimmender Ansicht der Exegeten verstand Jesus zweifellos das Wirken seiner Heilungskräfte als Exorzismus, als Zeichen des nahegekommenen Reiches Gottes. Die biblischen Berichte über B. wurden in der Kirchengeschichte weithin als Informationen über unbezweifelbare Sachverhalte verstanden, mit großem Interesse beachtet u. weitergehend interpretiert. Ein spezifisch christliches Verhalten gegenüber ”Besessenen“ ist nicht zu konstatieren (im Altentum wurden sie wie die Geisteskranken gefesselt, später, besonders im Zusammenhang mit dem Hexenwahn, auch verbrannt). Die heutige Auffassung der B. in den Kirchen ist von weitgehender Überlagerung einer Reliktmentalität durch wissenschaftliche Erkenntnisse gekennzeichnet. Keine Manifestation vermeintlicher B. nötigt dazu, das Phänomen theol. als Auseinandersetzung mit einem personalen Bösen anzugehen; es gehört allenfalls in den Bereich der Theodizee. In wissenschaftlicher Sicht handelt es sich um interdisziplinär anzugehende psychische Erkrankungen, vor allem Schizophrenie (Persönlichkeitsspaltung), Neurosen, Psychosen, Depressionen, z.T. Epilepsie, mit der Zuständigkeit von Psychologie u. Psychoanalyse, auch Parapsychologie (wegen der Kenntnis unbekannter Sprachen bei den Kranken), Psychopathologie u. Psychiatrie. Vielfach ist die vermeintliche B. auf Fehlverhalten der Verantwortlichen in der religiösen Sozialisation u. in den Phasen sexueller Entwicklung zurückzuführen, das zu Feindseligkeit der Kranken gegen Religion u. Kirche führt. Nachweisbar ist auch die gezielte Beeinflussung Kranker in ihrer Meinung, sie seien vom Teufel besessen, durch selber kranke Personen der Umgebung u. durch ”Seelsorger“.
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