Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Auferstehung der Toten
   Die Erwartung einer Errettung aus dem Tod u. einer Vollendung des menschlichen Lebens, in sehr vielen religiösen Traditionen der Menschheit bezeugt, ist nicht einfach identisch mit der Erwartung, daß die Vollendung des individuellen Menschen angesichts der Erfahrung der Einheit u. Ganzheit des Menschen Seele u. Leib umfange; erst diese ganzheitliche Vollendung heißt zutreffend A. d. T.   1. Biblische u. frühjüdische Zeugnisse. Die Glaubenszeugnisse, daß die Macht des Gottes Israels nicht an den Grenzen des Totenreiches endet, sind älter als die Erwartung einer A. d. T. In Psalmen wird (nachexilisch) die Hoffnung auf eine individuelle Rettung aus dem Tod deutlich (Ps 16; 22; 49; 73; 88). Bei Jes 25 wird die endzeitliche Vernichtung des Todes angesagt. Das AT bezeugt ein allmähliches Hervortreten des Glaubens an eine A. d. T. Wenn die Vision von der Wiederbelebung der Totengebeine in Ez 37 auch eine Metapher für die Neubelebung Israels ist, so gibt sie doch Einblick in eine Vorstellungswelt, in der eine A. d. T. für möglich gehalten wird. Das erste sichere Zeugnis für die erwartete Verwirklichung dieser Möglichkeit ist Dan 12, 1 f. (um 165 v.Chr.), bei der die ”ausgleichende Gerechtigkeit“ den gedanklichen Hintergrund bildet. Auch in 2 Makk 7 steht die sichere Hoffnung auf leibliche A. d. T. unter dem Gedanken der doppelten Vergeltung für die gerechten Blutzeugen u. den verbrecherischen Tyrannen, mit besonderer Betonung der Macht Gottes über den Tod hinaus. Weitere sichere Zeugnisse finden sich im frühjüdischen Schrifttum (Henochbuch; in den Ausführungen bei Flavius Josephus † um 100 n.Chr. über die Sadduzäer) . Seit der jüdischen Katastrophe 70 n.Chr. gehört die A. d. T. zum festen Bestand jüdischen Glaubens. Bei den Auferstehungstexten des NT ist auf die genaue Bedeutung zu achten, in der von A. d. T. gesprochen wird: vom Herauskommen der Toten aus den Gräbern (1 Thess 4, 16; 1 Kor 15, 52), von der Auferweckung zur doppelten Vergeltung (Joh 5, 28 f., Offb 20, 13), von der verwandelnden Gabe des unvergänglichen Lebens (1 Kor 15, 50 52 u. ö.). Zentrale Texte finden sich bei Paulus unter Bezugnahme auf die Auferstehung Jesu Christi : 1 Thess 4, 14–17 in apokalyptischem Bildmaterial; 1 Kor 15, 1–58 mit einer wichtigen Unterscheidung zwischen dem jetzigen verweslichen Leib u. dem geistgewirkten Auferstehungsleib. Die Deuteropaulinen Kol u. Eph wehren ein Mißverständnis ab, als sei das Taufgeschehen bereits die A. d. T. In anderen Texten des NTsind die Zusammenhänge, in denen vom Ewigen Leben oder vom Leben gesprochen wird, für die Auferstehungshoffnung bedeutsam. Jesus selber hat unter der Dringlichkeit der Verkündigung der hier u. jetzt zu erwartenden Herrschaft Gottes eher indirekt von der A. d. T., an die er fest glaubte (Mk 14, 25), gesprochen (Mk 12, 18–27; hier ist auch von der Andersartigkeit des Auferstehungsleibes die Rede). Die griech. Unterscheidung von sterblichem Leib u. unsterblicher Seele spielt im NT trotz sprachlicher Anklänge keine Rolle. Ein Überleben des Todes ohne die ausdrückliche Vorstellung einer A. d. T. wird in Gestalt der Lebensgemeinschaft mit (dem erhöhten) Jesus zum Ausdruck gebracht (Phil 1, 12; Lk 2, 43; Apg 7, 59).
   2. Theologiegeschichtlich-systematisch. Im Gegensatz zum griech. Denken hielt die alte Kirche am Glauben an die A. d. T., u. zwar mit dem Ziel einer doppelten Vergeltung, fest. Wenn in der altchristlichen Literatur von der Auferstehung des Fleisches gesprochen wird, dann ist damit nicht die negativ qualifizierte Sarx gemeint, sondern gegen leibfeindliche Tendenzen die Einheit des Menschen, der Menschheit u. damit auch die Güte der Schöpfung betont. Die Gegenwarts- u. Zukunftsaussagen des NT werden schon früh unter frühjüdischem Einfluß in die Gestalt gebracht, daß mit dem Tod die Seelen in jenseitige ”Kammern“ gelangen, während die leibliche Auferweckung eher im Sinn einer physischen Wiederbelebung am Ende der Welt erwartet wird (Zwischenzustand). Die andersartige, verwandelte Qualität des Auferstehungsleibes bleibt in der Alexandrinischen Theologenschule erhalten. Die mittelalterliche Theologie brachte in das Bedenken der A. d. T. die hylemorphistische Vorstellung von der Seele als Form des Leibes ein (Hylemorphismus); die Seele galt nun als das entscheidende Prinzip, das die Identität desMenschen auch nach dem Tod garantierte, so daß ihr allein nun auch sofort mit dem Tod die Seligkeit oder die Verdammung zuteil würde (Papst Benedikt XII. †1342 in einer Entscheidung von 1336). Die leibliche Auferweckung trat ihr gegenüber in der Erwartungshaltung zurück. Ebenso galt die Hoffnung dem Eingehendürfen in den Himmel, nicht mehr der Vollendung der Schöpfung. Die von M. Luther († 1546) ausgehenden Impulse nahmen verschiedene Richtungen: einmal zum Gedanken des Todesschlafs, der bis zur A. d. T. dauere, sodann zur Idee eines Ganztods von Seele u. Leib, dem eine im Glauben erhoffte völlige Neuschöpfung folge, schließlich zur Andeutung einer ”dialogischen “, nicht einer ”natürlichen“ Unsterblichkeit. Die Unsterblichkeits- Philosophie des späten 18. u. des 19. Jh. war der einseitigen Betonung des Überlebens des Todes durch die geistige Seele günstig. Im 20. Jh. wurde die A. d. T. in R. Bultmanns († 1976) Programm der Entmythologisierung zu den Mythen gerechnet u. als eine Umschreibung des Wortes ”Gott“ entmythologisiert. Die Rückkehr zu einer neuen Aufmerksamkeit für die A. d. T. ist einerseits der intensiven Beschäftigung mit der ganzheitlichen Auffassung des Menschen in der Bibel, vor allem in der hebräischen Anthropologie, u. anderseits der Erneuerung des Leib-Seele-Denkens bei Thomas von Aquin († 1274) durch K. Rahner († 1984) zu verdanken, die sich nahtlos mit der biblischen Hoffnung auf eine Erlangung der unmittelbaren Gottesgemeinschaft des Menschen im Tod u. mit den biblischen Aussagen über die völlige Andersartigkeit des Auferstehungsleibes vereinbaren ließ. In Rahners Gedanken, daß die menschliche Geistigkeit notwendigerweise Bezug zur Materie u. Bezug zur Welt bedeute u. Rettung aus dem Tod durch Gott daher die Gewährung eines neuen, andersartigen Materie-Bezuges sein könne, sind die Vorstellung einer vom Leib getrennten, von Gott künstlich erhaltenen Seele u. die Idee eines ”Zwischenzustands “ entbehrlich. Auf Rahner geht die inzwischen von vielen geteilte Hoffnung auf eine Auferstehung des ganzen Menschen im Tod zurück. Die Erwartung der allgemeinen Auferstehung aller Toten am ”Ende der Welt“ besagt dann für den Einzelmenschen, daß die Vollendung der Schöpfung Gottes u. der Menschheit im ganzen auch für ihn noch Gegenstand der Hoffnung auf Neues sein kann. Die Erwartung einer physischen Wiederherstellung des alten Leibes berücksichtigt die biblischen Aussagen über die verwandelte Andersartigkeit des Auferstehungsleibes nicht. Sie bedenkt auch nicht konsequent genug, daß die Individualität eines Menschen durch seine (”seelisch“ getroffenen) Lebensentscheidungen erwirkt ist u. ihrerseits die Leiblichkeit prägt u. nicht umgekehrt. Um den einen ganzen Menschen in seine ”ganz andere“, empirischen Augen nicht zugängliche Lebenswirklichkeit erneuernd u. beseligend hineinzubergen, benötigt Gott den Leichnam nicht.
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